Samstag, 16. Mai 2020, 02:40h

Ich bin dann mal weg

behrens

"Ihr müßt euch nämlich darüber im klaren sein, dass es zweierlei Arten der Auseinandersetzungen gibt: die mit Hilfe des Rechts und die mit Gewalt. Da die erste oft nicht zum Ziele führt, ist es nötig, zur zweiten zu greifen."
Niccolò Machiavelli (1469 – 1527)

Manchmal ist es schier unfassbar, mit welcher rasanten Geschwindigkeit sich Dinge binnen kürzester Zeit so verändern können, dass sie kaum noch wiedererkennbar sind. Noch vor einem guten Vierteljahr war meine Arbeitswelt in Ordnung, um nicht zu sagen sogar ideal. Mein Team bestand aus großartigen Kollegen und besaß einen fachlich und menschlich hochkompetenten Leiter. Unsere Einrichtung wurde gut besucht und erfreulicherweise war auch die Zahl der neuen Interessenten gestiegen. Aber leider verließ uns dann unerwartet unser Leiter.

Während der ersten beiden Monate glänzte die neue Leiterin weitgehend durch Abwesenheit, was sich jedoch urplötzlich änderte, als sich zwei unserer Klienten über eine Kollegin beschwerten. Dies weckte Feuereifer in ihr und es folgten sofort Abmahnungen, die in haarsträubender Weise Arbeitnehmerrechte ignorierten. Ignoriert wurde ebenfalls der Umstand, dass sich die Kollegin in einer äußerst schwierigen belastenden Situation befand, denn sowohl der Lebensgefährte als auch ein Familienangehöriger waren schwerkrank. Auch das in der Sozialarbeit übliche und bewährte Prinzip der Teamtransparenz, demzufolge Probleme in der Arbeit mit Klienten gemeinsam besprochen werden, galt plötzlich nicht mehr und bis jetzt wissen weder die Kollegin noch das Team, worum es bei den Beschwerden konkret geht.

Ich versuchte, der Kollegin beizustehen, aber selbst, als der Familienangehörige verstarb und sie einen schweren Zusammenbruch erlitt, wurde rigoros weiterhin verweigert, das ihr vorgeworfene Fehlverhalten konkret zu benennen, wodurch ihr auch Möglichkeit einer Stellungnahme genommen wurde. In meinen Augen sehr fragwürdig, denn wenn Arbeitnehmerrechte so offensichtlich ignoriert werden, dann wird ein Abmahnverfahren zu einem bedenklichen Willkürakt degradiert. Was mich an dem ganzen unerfreulichen Vorgang besonders erschreckte, war die Reaktion des Teams auf meinen Hinweis darauf, dass selbstverständlich auch jemand, der sich ein (vermeindliches) Fehlverhalten zu Schulden kommen lassen hat, ein gesetzlich garantiertes Recht auf Einlegung von Rechtsmitteln und auf eine faire Behandlung hat. Während ich dies immer als eine Selbstverständlichkeit vorausgesetzt hatte, blieben einige Teammitglieder bei ihrer Meinung, dass bei einem Fehlverhalten auch auf die Gewährung der Rechte auf Einhaltung des Rechtswegs verzichtet werden dürfe.

Die Art und Weise, in der mit personeller Macht umgegangen wurde, entpuppte die neue Leiterin als weibliche Variante eines Machiavelli. Nicht unbedingt in Hinsicht auf dessen geistige Größe, aber in Hinsicht auf die Unterordnung ethischer Grundsätze unter den Anspruch auf Macht. Und irgendwann habe ich mich gefragt, ob ich wirklich unter jemandem arbeiten möchte, der sich wie ein spätgeborener Machiavelli aufführt. Und diese Frage habe ich mir mit einem klaren „Nein“ beantwortet.

Während das Team in der jetzigen Situation aufgrund des Fehlens von zwei Kolleginnen hart an seiner Belastungsgrenze arbeitet, hat die Leiterin jetzt für fast zwei Monate eine Auszeit durch eine Kur mit anschließendem Urlaub genommen.

Die sechs Jahre mit meinen Kollegen waren toll und wir hatten ein durch Kollegialität und hohe Fachkompetenz geprägtes Team, in dem sich jeder wohl fühlte. Wir haben aus dem Nichts einen gut besuchten sozialen Treffpunkt aufgebaut – was zu einem großem Teil auch der inzwischen gegangenen Kollegin zu verdanken ist – und außerdem auch gute sozialpsychiatrische Betreuung geleistet. Aber ein autoritärer Führungsstil hat die bisherige Offenheit der Kommunikation schlagartig in Einschüchterung gewandelt und kritisches Hinterfragen wird jetzt als Störfaktor gewertet, auf den mit fragwürdigen Halbwahrheiten reagiert wird.

Einen Machiavelli hält selbst das beste Team nicht aus.

Und deswegen: Ich bin dann mal weg

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