Samstag, 27. Juni 2015, 01:43h

Wenn ein Betreuer plötzlich erkrankt - und eine kleine Anmerkung zum Begriff des Korpsgeistes

behrens

Wenn ein Betreuer sich entschließt, seine Tätigkeit zu beenden, ist dies nie von einem Tag auf den anderen möglich. Eine Betreuung wird erst dann beendet, wenn ein neuer Betreuer gefunden wurde, der zeitgleich ernannt wird. Erfahrungsgemäß dauert dies mindestens drei Wochen, kann sich aber auch über zwei Monate hinziehen, da ja nicht immer sofort jemand für die Weiterführung gefunden wird und in manchen Fällen außerdem auch eine richterliche Anhörung erforderlich ist. In den Fällen, in denen ein Betreuer plötzlich ernsthaft erkrankt , kann diese langwierige Verfahren zu einer großen Belastung werden, da der Betreuer immer noch in der Verantwortung steht und im Grunde die Arbeit gar nicht unterbrechen kann.

Als ich vor zwei Jahren meine Betreuertätigkeit beendete, war ich zwar gesundheitlich sehr angeschlagen, aber dennoch in der Lage, meine Betreuungen ordnungsgemäß abzugeben, nicht zuletzt auch deswegen, weil meine damalige Mitarbeiterin sich spontan entschloss, mein Betreuerbüro zu übernehmen und dies auch vom Gericht akzeptiert wurde. Dadurch blieb mir auch die mit viel Arbeit verbundene Büroauflösung erspart und alles in allem hatte ich also nochmal Glück gehabt.

Weniger Glück hatte hingegen eine Kollegin, die schwer erkrankte und binnen kurzer Zeit nicht mehr in der Lage war, ihre Arbeit auszuführen. Mir war die betreffende Kollegin gut bekannt, denn ich hatte mit ihr früher sowohl in einem Betreuungsverein als auch anschließend in einer Bürogemeinschaft zusammengearbeitet. Obwohl wir jahrelang gut zusammengearbeitet hatten, gingen wir vor einigen Jahren im Streit auseinander. Trotz des Streits war ich jedoch geschockt, dass es der Kollegin so schlecht ging, dass sie nicht mehr in der Lage war, ihre Arbeit ordnungsgemäß zu beenden.

Wie fiel die Reaktion der Kollegen aus, als die Kollegin plötzlich krank wurde und nicht mehr arbeiten konnte? Die Kollegen der Bürogemeinschaft, der die Kollegin noch nicht allzu lange angehörte, mussten notgedrungen sämtliche durch die plötzliche Beendigung anfallenden Arbeiten, wie Aktenübergabe etc. mit übernehmen. Aber es gab nicht nur die Bürogemeinschaft, sondern auch noch einen weiteren Betreuerkreis, dem jene Kollegin angehörte. Da sogar auch bei mir mittlerweile angefragt wurde, wie denn die Kollegin zu erreichen sei, erkundigte ich mich bei der Betreuergruppe, woraufhin mir geantwortet wurde, dass man ebenfalls nichts Genaues wüsste, da niemand aus der Gruppe versucht hatte, Kontakt zu der Kollegin aufzunehmen.

Außenstehende können kaum ermessen, wie verheerend es für einen rechtlichen Betreuer sein kann, wenn er durch eine akute Erkrankung plötzlich nicht mehr in der Lage ist, seine Arbeit ordnungsgemäß zu beenden und abzugeben. Einige Aufgaben können von Mitarbeitern oder Kollegen übernommen werden, aber es gibt auch solche Aufgaben, die personengebunden sind und ausschließlich vom betreffenden Betreuer selbst ausgeführt werden dürfen. Bei einem plötzlichen Ausfall kann es folglich äußerst schnell zu Unmengen von schweren Versäumnissen kommen, für die der Betreuer persönlich haftbar ist. Ein nicht rechtzeitig gestellter Rentenantrag, eine nicht fristgerecht übergebene Wohnung, eine unterlassene Einschaltung einer dringenden ärztlichen Behandlung – all dies kann verheerende Folgen haben, die die Gefahr hoher Regressansprüche mit sich bringen.

Eben aufgrund jener nicht auszuschließenden Regressansprüche frage ich in der Betreuergruppe auch danach, ob denn der Kollegin zumindest mitgeteilt worden war, dass aufgrund einer Gesetzesänderung vor kurzem eine hohe Steuererstattung für alle rechtlichen Betreuer beschlossen worden war, was zweifellos gerade in der schwierigen Situation einer Erkrankung eine äußerst wichtige und hilfereiche Information darstellte. Aber auch hier erhielt ich die Antwort, dass dies bisher wohl niemand aus der Gruppe getan hat und wohl auch nicht für notwendig erachten würde.

Ich war eine Weile hin- und hergerissen zwischen der Entscheidung, mich aus dem Ganzen rauszuhalten oder aber der Kollegin die Info über den Möglichkeit der Beantragung der Steuererstattung zukommen lassen. Schließlich waren wir beide im Streit auseinandergegangen und daher war ich mir auch überhaupt nicht sicher, ob die Kollegin eine Mail von mir überhaupt öffnen würde. Mit einem etwas mulmigen Gefühl entschloss ich mich dennoch, die Kollegin über die Erstattung und vor allem über den erforderlichen Verfahrensweg zu informieren.

Aber was ist eigentlich davon zu halten, dass sich in einer Gruppe von Betreuerkollegen niemand im Mindesten dafür zu interessieren scheint, wie es einer offenbar schwer erkrankten Kollegin geht? Und wie ist es einzustufen, dass sich dies ausgerechnet in einem Arbeitsfeld abspielt, dessen Hauptaufgabe in der Unterstützung und Begleitung von hilfsbedürftigen Menschen besteht und in dem unaufhörlich das große soziale Engagement betont wird? Dabei darf nicht außer Acht gelassen werden, dass die plötzliche Erkrankung eines Kollegen nicht nur ihn selbst, sondern auch dessen Betreute betrifft, deren angemessene Versorgung durch den plötzlichen Ausfall ihres Betreuers nicht mehr garantiert ist.

An dieser Stelle möchte ich den Zusammenhang zu der Überschrift dieses Beitrags erklären, denn der Begriff des „Korpsgeist“ gehört normalerweise nicht zu meinem Vokabular. Verwendet wurde dieser Begriff von eben jener Betreuergruppe, als es vor einigen Jahren um eine von mir geäußerte Kritik ging und mir daraufhin ein ”Mangel an Korpsgeist” vorgeworfen wurde, der zu einem umgehenden Ausschluss führte. Führt man sich vor Augen, dass ausgerechnet jene Menschen für sich den Begriff des Korpsgeistes beanspruchen, die mit der gleichen Selbstverständlichkeit, mit der eine Kollegin aus ihrer Gruppe ausgeschlossen wird, eine erkrankte Kollegin einfach links liegenlassen, dann bleibt vom besagten Korpsgeist nicht allzu viel übrig. Vielleicht ist dies gar nicht so verwunderlich, denn wo Klienten zum Kunden gemacht werden, werden aus Kollegen zwangsläufig Konkurrenten – und warum sollte man für Konkurrenten Mitgefühl zeigen?

Man mag jetzt einwerfen, dass es sich bei dem hier Geschilderten um eine alte Geschichte handelt, die längst abgehakt ist. Aber Geschehnisse sind nur dann tatsächlich abgehakt, wenn die Beteiligten ihr Verhalten kritisch hinterfragen und dadurch eine Wiederholung ausgeschlossen wird. Davon kann in diesem Fall jedoch keine Rede sein, denn niemand der betreffenden Betreuer hat das eigene Verhalten jemals hinterfragt. Und so bleibt die Frage aktuell, in wieweit eine gleichgültige und empathiearme Haltung unbedenklich und geeignet ist für einen Arbeitsbereich, in dem es um die Unterstützung von Menschen mit existentiellen Problemen und hohem Hilfebedarf geht. Manche Betreuer beantworten diese Frage mit dem Hinweis darauf, dass es sich um ein ganz normales Verhalten und eine ganz normale Arbeit handelt und beispielsweise in einer Versicherung, einer Bank oder einem Maklerbüro auch nicht anders mit Kollegen umgegangen wird. Abgesehen von der Strittigkeit einer Ansicht, derzufolge ein fragwürdiges Verhalten allein dadurch legitimierbar wird, dass es auch bei anderen anzutreffen ist, wird durch diese Haltung verständlich, dass so mancher sich damit schwertut, den Bereich der rechtlichen Betreuung als vertrauenswürdig zu empfinden.

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