Freitag, 23. Mai 2014, 16:21h

Patchworkfamilien II – „Du hast mir gar nichts zu sagen!"

behrens

Ich habe vor kurzem hier ein wenig über meine Erfahrung mit den speziellen Probleme von Patchworkfamilien geschrieben. Dabei hatte ich mich mit der Problematik der Folgen von Trennungen befasst. Allerdings gibt es auch Probleme, die völlig unabhängig von Trennungssituationen existieren. Probleme, die beispielsweise darauf beruhen, dass es Unterschiede gibt zwischen jenen Auseinandersetzungen von Kindern mit ihren leiblichen Eltern und jenen Auseinadersetzungen zwischen Kindern mit den Lebensgefährten eines Elternteils.

Kommt es beispielsweise in der Pubertät zum Versuch der Abgrenzung gegenüber den Eltern, dann hat es der nichtleibliche Elternteil oftmals schwerer sich durchzusetzen, als der leibliche Elternteil. Grundsätzlich geht es zwar sowohl bei leiblichen als auch bei nichtleiblichen Eltern um das Gleiche, nämlich um die Infragestellung der Autorität der Erwachsenen. Allerdings wird der leibliche Elternteil nicht grundsätzlich in seiner Position als Vater oder Mutter in Frage gestellt, wohingegen die Position des Lebensgefährten weniger klar und gefestigt ist. „Du hast mir gar nichts zu sagen“ lautet dann nicht selten das Argument der Kinder. Die Dynamik eines solchen Konfliktes ist dann ungleich komplizierter, da sich der Konflikt auch auf die Beziehung zwischen leiblichem Elternteil und dessen Lebensgefährten auswirkt, denn der leibliche Elternteil kann sehr schnell zwischen die Fronten geraten und sich dabei zu der Entscheidung gedrängt fühlen, für die eine oder die andere Seite Partei ergreifen zu müssen.

Natürlich gibt es auch in Familien, die aus leiblichen Eltern und deren gemeinsamen Kindern bestehen, unterschiedliche Parteilichkeit gegenüber den Kindern. Aber es liegt in der Natur der Sache, dass Kinder ihren leiblichen Eltern keinen Vorwurf darüber machen, dass diese eine Beziehung eingegangen sind. Geht es jedoch um einen Lebensgefährten, der von einem Kind nicht akzeptiert wird, kann es jedoch sehr wohl zu einem mehr oder weniger bewussten Vorwurf gegenüber dem leiblichen Elternteil kommen, dass dieser sich für jemanden entschieden hat, mit dem das Kind überhaupt nicht einverstanden ist. Das kann dann wiederum in dem Appell an die Mutter/den Vater münden, sich gegen den Partner zu stellen. Nicht jede Beziehung hält diesen Konflikt aus und manchmal kommt es dadurch zu Trennung.

Ein weiterer Aspekt ist, dass auch die härtesten und schwierigsten Auseinandersetzungen zwischen Eltern und deren leiblichen Kindern nur selten dazu führen, dass die Eltern ihre leiblichen Kinder nicht mehr lieben und den Kontakt gänzlich abbrechen. Es mag eine Hassliebe sein, aber dennoch sind Gefühle vorhanden. Bei den Lebensgefährten hingegen besteht die Gefahr, dass diese vor dem Konflikt kapitulieren und die Einstellung gegenüber dem Kind nur noch negativ besetzt ist, bzw. sich im Falle einer Trennung in völliger Gleichgültigkeit ausdrückt. Ich erinnere mich an ein Gespräch, das ich während einer medizinischen Anwendung mit einem Masseur führte, der sich bitter über die pubertierende Tochter seiner Lebensgefährtin beklagte. Und ich werde nie die Aussage vergessen: „Über die müsste man einfach mal mit dem Auto drüberfahren, das wäre nicht schade drum“.

Sicher, auch Auseinandersetzungen in „normalen“ Familien, die aus den leiblichen Eltern und deren Kinder bestehen, können eskalieren und auch dort kann es zu Gewalt kommen. Und natürlich gibt es auf der anderen Seite auch diverse Patchworkfamilien, in denen tragfähige Beziehungen entwickelt wurden und in denen die Kinder den neuen Lebenspartner voll und ganz akzeptieren. Man darf weder das eine idealisieren noch das andere dämonisieren. Aber dennoch ist es ein Erfahrungswert, dass Patchworkfamilien in mancher Hinsicht mit schwierigeren Bedingungen zu rechnen haben. Diese Beobachtung habe ich nicht nur im Rahmen meines Berufes gemacht, sondern auch im privaten Kreis. Kinder, die einen neuen Partner der Mutter/des Vaters nicht akzeptieren, können sehr viel Energie darauf verwenden, diesem das Leben schwer zu machen. Und auf der anderen Seite ist es für Kinder Kind alles andere als einfach, ein neues Familienmitglied vor die Nase gesetzt zu bekommen, das sie nicht mögen und das als Fremdkörper oder Konkurrent um die Liebe des leiblichen Elternteils empfunden wird.

Vielleicht ist das das Entscheidende – die Beziehung zu den leiblichen Eltern besteht von Anfang an. Auch wenn es sich um eine schwierige und unharmonische Beziehung handelt, so ist diese Beziehung eine Gegebenheit, in die das Kind hineingewachsen ist. Und auch die Eltern hatten die Chance, ihr Kind vom ersten Tag an in seiner Entwicklung zu erleben.

Ich habe heute ein langes Gespräch mit einer Klientin geführt, die eine sehr schwierige Kindheit mit viel Gewalt durchlebt hatte, in der beide Eltern mehrere Partner hatten. Mit der kleinen Tochter der Freundin ihrer Mutter verstand sie sich sehr gut und sie liebte diese „heiß und innig wie eine eigene Schwester.“ Dennoch riss im Erwachsenenleben die Beziehung ab. Als nachfragte, woran dies läge, antwortete sie nachdenklich: „Das weiß ich eigentlich gar nicht, es gibt keinen bestimmten Grund.“

Auch mich hat dies nachdenklich gemacht. Sind es vielleicht erlernte Konventionen, die uns daran hindern, Menschen, mit denen wir leiblich verwandt sind, nicht so leicht fallen zu lassen und kann man daraus ableiten, dass uns dies bei fremden (= nichtverwandten) Menschen sehr viel leichter fällt? Fühlen wir uns vielleicht doch mehr verpflichtet und in der Verantwortung, wenn unser Verhältnis zu Menschen durch die Konstellation „Mutter, Vater, Tochter, Sohn, Schwester, Bruder“ etc definiert ist? Und überfordert es vielleicht den Menschen, tragfähige und verantwortungsbewusste Beziehungen zu Menschen aufzubauen, wenn diese Beziehungen ihren Bezugsrahmen durch die Beendigung einer Partnerschaft verlieren?

Ich würde gern Idealistin sein und daran glauben können, dass ein Mensch uns auch dann viel bedeuten kann oder uns zumindest nicht völlig gleichgültig ist, wenn die Beziehung zu ihm nicht durch irgendein Verwandtschaftsverhältnis definiert ist. Aber meiner Erfahrung nach scheint dies leider nur in Ausnahmen der Fall zu sein. So sehr verwundert dies im Grunde nicht, denn dieses Verhaltensmuster findet man längst nicht nur in Familienkonstellationen. Auch in meiner Tätigkeit als Betreuerin war ich immer wieder erstaunt darüber, welch himmelweiter Unterschied zwischen denjenigen Maßstäben liegt, die Kollegen für das Wohl der eigenen Angehörigen anlegen und jenen Maßstäben, die sie für Menschen anlegen, mit denen sie nicht verwandt.

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