Sonntag, 11. Mai 2014, 14:22h
Etwas, worum man die Franzosen beneiden muss – Mindestlohn
Während man es in Deutschland immer noch nicht geschafft hat, einen definitiven Mindestlohn festzulegen, gibt es in Frankreich das Salaire minimum interprofessionnel de croissance, kurz SMIC. Dessen Vorgänger, das salaire minimum interprofessionnel garanti, sprich SMIG gibt es sage und schreibe schon seit 1950! Mit anderen Worten – Deutschland, das so stolz auf sein Sozialsystem ist, hängt Frankreich in diesem Punkt runde 64 Jahre hinterher.
Was fällt mir so ein beim Thema Mindestlohn? Zum Beispiel meine erste Arbeitstelle in einem Zahnlabor, für die ich in den 70er Jahren einen Monatslohn von 450,00 DM erhielt. Auch wenn dies schon ewig zurückliegt, so war es auch damals schon so wenig, dass man, wenn man eine eigene Wohnung hatte, kaum davon leben konnte.
Als ich anschließend die Fachoberschule besuchte, war im Politikunterricht Tarifpolitik das Thema und ich brannte darauf, endlich etwas darüber zu erfahren, wieso Löhne möglich sind, von denen man gar nicht leben kann. Allerdings wurde meine Hoffnung enttäuscht. Es wurde über die Montan-Mitbestimmung, die IG-Metall und andere Gewerkschaften geredet, aber nicht über diejenigen, die wie ich in einem Zahnlabor arbeiteten. Als ich dann dieses Thema anschnitt, war die Antwort mehr als dürftig: „Betriebe, die sich keinem Arbeitgeberverband und keinen Tarifverträgen anschließen, verfügen über keine Lohntarife.“ Für meinen – ansonsten von mir sehr geschätzten – Politiklehrer war das Thema damit abgehakt. Ähnlich erging es mir dann auch während meines Studiums im Fach Sozialpolitik. Es wurden eingehend das Betriebsrätegesetz und Tarifbestimmungen besprochen, aber wieder wurde die Situation all derer, die in nicht tarifgebundenen Betrieben arbeiten, schlichtweg weggelassen.
Was hat es eigentlich zu bedeuten, dass man genau diejenigen völlig ignoriert, die ganz tief unten in der Lohnliste stehen und die somit am dringlichsten der Unterstützung bedürfen? All die Kellnerinnen, Friseusen, Putzfrauen, Taxifahrer arbeiten oftmals für so wenig Geld, dass der Lohn nicht selten noch mit Hartz IV (früher Sozialhilfe) aufgestockt werden muss, damit das Existenzminimum erfüllt ist. Und hierbei sollte deutlich betont werden, dass es in Deutschland beim Thema Mindestlohn nicht um 30, 20 oder 10 Euro geht, sondern um ganze 8,50 Euro!! Wieso findet diese Problematik trotzdem weder im Politikunterricht noch im Sozialpolitikseminar Beachtung?
Ich bin seit über dreißig Jahren Gewerkschaftsmitglied und habe die Mitgliedschaft auch während meiner Selbständigkeit beibehalten. Es ist bemerkenswert, dass ich äußerst selten Kollegen getroffen habe, die ebenfalls in der Gewerkschaft waren. Wenn ich meine Erinnerungen an die Ansichten zur Gewerkschaft Revue passieren lasse, dann fallen mir vor allen in Bezug auf meine Tätigkeiten in kaufmännischen Bereichen bemerkenswerte Äußerungen ein. Die am meisten vertretene Meinung unter kaufmännischen Kollegen war: „Wieso soll ich in der Gewerkschaft sein, ich kriege doch auch so das gleiche Gehalt. Da wäre ich ja schön doof, wenn ich dafür etwas bezahlen würde“. In einem Gespräch mit einer Pflegedienstleiterin machte diese kein Hehl aus ihrer Abneigung gegen die Gewerkschaftsbeauftragte: „Die Gewerkschaft macht mit ihren Forderungen unser Sozialsystem kaputt“ war ihre Meinung. Bedenkt man, dass Pflegedienstleiterinnen vergleichsweise gut bezahlt werden, hätte man eigentlich fragen müssen, ob ihr dann nicht konsequenterweise das eigene Gehalt ein schlechtes Gewissen bereiten würde.
Als ich dann endlich im Alter von dreißig Jahren meine erste Stelle in meinem Beruf als Sozialpädagogin antrat, ging ich davon aus, dass zumindest Sozialarbeiter einer Mitgliedschaft in der Gewerkschaft positiv gegenüberstehen würden. Aber da hatte ich mich geirrt. Meine damalige Kollegin kündigte sofort nach Erhalt der ersten Gehaltsabrechnung ihre Mitgliedschaft, da infolge der relativ guten Entlohnung natürlich auch der Beitrag angehoben wurde. Kichernd erklärte sie mir: „ Ja, ich weiß, dass Du das blöd findest, aber ich bin nun mal nicht so politisch “.
Allerdings möchte ich auch eine positive Erfahrung nicht verschweigen, die ich während meiner Tätigkeit als Kellnerin machte. Es bestand ein ausgesprochen gutes Betriebsklima und es ergab sich, dass ein Kollege mich ansprach, ob ich nicht Lust hätte, einen Betriebsrat zu initiieren. Ich war sofort Feuer und Flamme und mein Kollege überredete die meisten der Kollegen zum Eintritt in die Gewerkschaft, damit wir von dort die entsprechende Unterstützung erhalten könnten. Es lief auch alles gut an, aber dann erhielt ich ein Angebot in meinem Beruf als Sozialpädagogin und verließ den Betrieb. Ich hatte ein sehr schlechtes Gewissen, meinen Kollegen mit der Arbeit allein zu lassen, aber er hatte vollstes Verständnis dafür, dass ich die Stelle nicht ausschlagen würde. Der Kollege stand der Chefin – eine bekannt FDP-Politikerin und entschiedene Gewerkschaftsgegnerin – dann ziemlich allein gegenüber, so dass ich meine Möglichkeiten in meiner neuen Stelle im Arbeitsamt nutzte, um ihm so schnell wie möglich eine neue Stelle zu besorgen. Der Betriebsrat war damit ziemlich schnell ad acta gelegt, denn niemand hatte die Energie und die Lust, sich gegen die Firmenleitung durchzusetzen. Im nachherein betrachtet, war die Erfahrung also nur am Anfang positiv, betreffend das Interesse und den Einsatz, letztendlich aber negativ, da das Projekt Betriebsratgründung scheiterte.
Aber wieder zurück zu den Franzosen, die seit über einem halben Jahrhundert das haben, was für einen Sozialstaat unerlässlich ist – einen festgeschriebenen Mindestlohn. Was läuft anders in der Grande Nation?
Was sagt mein französischer Lebensgefährte (natürlich seit ewigen Zeiten Mitglied im „Syndicat“ = Gewerkschaft) zu diesem Problem: „Les allemands acceptent trop l’autorité. Ils ne sont pas du tout solidaire, en Allemagne les collègues me laissent très souvent seul avec mes problèmes. Le syndicat cherche trop les compromis.
Und wahrscheinlich ist es tatsächlich so: wir sind zu autoritätsgläubig, unsolidarisch, lassen Kollegen mit ihren Problemen allein und die Gewerkschaft ist zu kompromissbereit.
Ein irgendwie deutsches Problem also. Oder nicht?
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