Mittwoch, 26. Januar 2011, 02:50h
Was wäre wenn….man auf der anderen Seite stünde?
Bei der Diskussion um Kritik an der Praxis am Betreuungswesen oder an einzelnen Betreuern geschieht das, was oftmals in Diskussionen geschieht – es wird meist ausschließlich die eigene Position und ausschließlich die eigene Interessenlage gesehen.
Den Blickwinkel des anderen einzunehmen, sich vorzustellen, wie es wäre, wenn man selbst so behandelt werden würde, wie man andere behandelt – all das hat im betriebswirtschaftlichen Denken kaum Platz. Aber gerade das würde vielleicht eine völlig neue Sichtweise eröffnen. Es wäre eine interessante und aufschlussreiche Frage, wie die Reaktion von Betreuern ausfallen würde, wenn es um die eigenen Angehörigen oder die eigene Person gehen würde. Würde im Fall von eigener Betroffenheit tatsächlich genauso geurteilt und empfunden werden wie als Nichtbetroffener? Da gäbe es spannende Fragen:
Wie würde es beispielsweise ein Betreuer empfinden, dessen betreuter Angehöriger – wie z.B. die eigene Tochter – sich in einem schwer suizidalen Zustand befindet und der Betreuer dies lapidar mit „Wer sich umbringen will, soll sich umbringen“ kommentiert?
Wie würde ein Betreuer reagieren, wenn ein betreuter Angehöriger – beispielsweise der eigene Großvater – aufgrund des äußerst geringen Heimtaschengeldes nicht in ein Pflegeheim möchte und der Betreuer kommentiert dies mit dem Satz „Das ist das Anspruchsdenken, das unsere Gesellschaft kaputt macht?"
Und wie würde sich ein Betreuter fühlen, wenn die eigene Mutter im Sterben liegt und die Entscheidung über lebensverlängernde Maßnahmen von deren Betreuer gefällt wird, ohne dass dieser sich auch nur einmal die Zeit für einen Besuch genommen hat und dies eventuell sogar damit rechtfertigt, dass er dabei über die 3,5 Stundenpauschale kommen würde?
Wie würde ein Betreuer reagieren, wenn ein Bekannter – wie z.B. ein guter Freund - von einem Betreuer betreut wird, der es zulässt, dass für eine nie erfolgte anwaltliche Beratung Geld in Rechnung gestellt wird? Und dies selbst dann, wenn der Betreute noch nicht einmal über das Existenzminimum verfügt und genau deswegen hilfesuchend eine Betreuung beantragt hat?
Wie würde ein Betreuer auf eine völlig überhöhte Vergütungsabrechnung reagieren? Oder darauf, dass bewusst Vermögen angespart werden würde, damit ein höherer Vergütungssatz (aus der Tasche des Betreuten!) gezahlt wird? Würde ein Betreuer dies tatsächlich klaglos hinnehmen, wenn es nicht um irgendeinen Betreuten, sondern um die eigenen Angehörigen ginge?
Würde ein Betreuer auch dann rassistische Ausdrücke lustig finden, wenn es beispielsweise um die eigenen dunkelhäutigen Enkel gehen würde?
Würde ein Betreuer eine rigorose Geldeinteilung, die die eigenen Wünsche völlig unberücksichtigt lässt, auch dann als vertretbar empfinden, wenn er selbst betreut werden würde und es sich um das eigene Geld handelt?
Würden Betreuer die Ansicht, dass ein Betreuer berechtigt ist, Kritik an seiner Person zu verbieten, auch dann vertreten, wenn diese Kritik nicht von irgendeinem Betreuten, sondern von der eigenen Schwester oder dem eigenen Bruder geäußert wird?
Wie wäre die Reaktion eines Betreuers auf den Verkauf eines Hauses/Grundstücks ohne die geringste vorherige Information, wenn es sich dabei um das Eigentum der eigenen Eltern handeln würde?
Würde ein Betreuer die Androhung eines Hausverbots auch dann als völlig gerechtfertigt empfinden, wenn es ihn selbst betreffen würde und er damit rechnen müsste, seine eigenen Eltern nicht mehr besuchen zu dürfen?
Wer jetzt argumentiert, dass diese Fragen spekulativ sind, macht es sich zu einfach. Es steht außer Frage, dass kein Mensch, dem sein Angehöriger wirklich etwas bedeutet, damit einverstanden wäre, wenn ein Betreuer einer Suizidalität völlig gleichgültig gegenüber stehen würde. Und jeder würde es als respektlos und desinteressiert beurteilen, wenn jemand einem Menschen, der nicht von einem knappen Taschengeld leben will, Anspruchsdenken vorwirft. Mit Sicherheit würde keiner für seinen Partner einen Betreuer wollen, der über existentielle Fragen, in denen es im wahrsten Sinne des Wortes um Leben und Tod geht, ohne persönlichen Kontakt entscheidet. Und selbstverständlich würde es niemand einsehen, dass für eine nie erfolgte Leistung Geld bezahlt werden muss. Und rassistische Betitelungen seiner eigenen Angehörigen würde niemand einfach so hinnehmen, geschweige denn als lustig empfinden. Und zweifellos würde es niemandem gefallen, wenn er überhaupt keine Mitsprache bei der Einteilung seines eigenen Geldes mehr hätte. Es wäre sicherlich für die meisten ein ziemlicher Schock, wenn es ein Betreuer nicht für notwendig hält, über den Verkauf des Grundstücks/Hauses der eigenen Eltern zu informieren, zumal es auch nicht so abwegig ist, dass vielleicht auch Kaufinteresse in der eigenen Familie oder Bekanntenkreis bestehen könnte. Ich kenne niemanden, der nicht entrüstet wäre, wenn eine fremde Person den Kontakt zu den Eltern verbieten lassen will. Und ganz ehrlich – es würde sicherlich jeder auf die Barrikaden gehen, wenn einem nahen Angehörigen von seinem Betreuer die Äußerung von Kritik untersagt werden würde.
Mit absoluter Sicherheit würde Kritik gegenüber Betreuern auch von den Betreuern selbst völlige Zustimmung finden - vorausgesetzt, sie wären selbst betroffen. Ohne die eigene Betroffenheit hingegen wird Kritik einfach nur als lästig und überflüssig empfunden. Und dieses Messen mit zweierlei Maß ist es, das uns Betreuer so wenig vertrauenswürdig scheinen lässt und das die Vorstellung, einmal selbst betreut zu werden, so beklemmend und besorgniserregend macht.
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