Sonntag, 7. November 2010, 20:49h
Mal etwas Positives – Betreuer, von denen es mehr geben sollte
Gestern wurde in unserem Hamburger Abendblatt dem Thema Betreuung eine riesige Seite gewidmet. Eine Hamburger Betreuerin stellte die Betreuungsarbeit anhand einer ihrer Betreuten vor. Ich hatte schon die Formulierung „anhand eines Falles“ getippt, aber sofort wieder gelöscht, denn die Kollegin behandelt ihre Betreute alles andere als einen „Fall“. Ein sehr persönlicher Bericht, in dem auch – oder gerade – die Sichtweise der Betreuten geschildert wird.
Wie bei sehr vielen Betreuten steht eine tragische Familiengeschichte im Hintergrund, in der es ab einem bestimmen Zeitpunkt auch zu vielen stationären psychiatrischen Behandlungen kommt. Wenn dann irgendwann auch noch Verlust der Arbeit, der Wohnung, der Krankenversicherung und des sozialen Umfelds dazukommt, geht irgendwann überhaupt nichts mehr und der Betreute steht vor einem Trümmerhaufen, den er aus eigener Kraft nicht mehr bewältigen kann.
„Ich darf bei der Betreuung nicht meine Maßstäbe anlegen, auch wenn es Lebensentwürfe gibt, die nicht meinen entsprechen“, wird die Kollegin zitiert. Das wird sicherlich jeder unterstreichen, aber dennoch ist es alles andere als einfach zu befolgen. Denn Lebensentwürfe können auch zu heftigen Auseinandersetzungen mit dem sozialen Umfeld führen oder aber gar nicht realisierbar sein, weil die entsprechenden Ressourcen nicht vorhanden sind. Man braucht dann viel Fingerspitzengefühl um die Gratwanderung zwischen Akzeptanz und Intervention im Sinne des Betreuten zu bewältigen.
Der Artikel geht über den Einzelfall (hier muss ich doch mal „Fall“ schreiben) hinaus und gibt auch Einblick in das Krankheitsbild der Depression. In das, was passieren kann, wenn jemand von dieser Erkrankung wie von einer riesigen Welle überschwemmt wird und sich dies ohne die Einnahme von Medikamenten jederzeit wiederholen kann.
Im Artikel wird ein Foto der Betreuerin und ihrer Betreuten während eines Spaziergangs gezeigt. Ich habe mir schon lange nicht mehr die Zeit genommen, mit meinen Betreuten mal einfach spazieren zu gehen. Immer gibt es anscheinend irgendetwas Wichtigeres, das zur Katastrophe werden könnte, wenn man es nicht sofort erledigt. Eine Betreute hat mir in der vergangen Woche direkt gesagt, dass ich endlich mal öfter vorbeikommen sollte.
Im vergangenen Jahr habe ich an der Hamburger Fachtagung teilgenommen und die betreffende Kollegin kennengelernt. Mir ist noch in Erinnerung, wie die Thematik der geschlossenen Unterbringung (im Klartext Zwangseinweisung) behandelt wurde. Es ist eben nicht so, wie viele Außenstehende meinen, dass die Betreuten grundsätzlich dagegen sind, sie sind oftmals nur in der konkreten Situation dagegen und im nachherein sind die meisten doch froh, dass eingegriffen wurde. Niemand möchte seine Wohnung verlieren oder mit seinem sozialen Umfeld so heftig in Konflikt geraten, dass ein Zusammenleben unmöglich wird. Die Kollegin nimmt sich die Zeit, um mit den betreffenden Betreuten ausgiebig über den Ernstfall einer tatsächlich erforderlichen Einweisung zu sprechen. Und dann wird – in beiderseitigem Einvernehmen – eine Art Vertrag, bzw. Absprache getroffen, die die Betreute mitgestaltet. Das ist weniger demütigend, als einfach im Schnellverfahren abgeholt und untergebracht zu werden. Erfordert aber auch mehr Gespräche und mehr Zeit.
Wenn bei einem meiner Angehörigen eine Betreuung unvermeidbar werden sollte, hätte ich überhaupt keine Bedenken, der im Artikel vorgestellten Kollegin diese Aufgabe übertragen zu lassen. Und die Form der Öffentlichkeitsarbeit, die mit dem Bericht gewählt wurde, kann man einfach nur begrüßen.
Es stimmt, ich meckere oft viel herum. Ich hoffe, ich habe jetzt auch mal das Positive einer Betreuung deutlich gemacht und aufgezeigt, dass Betreuung auch eine wirkliche Hilfe sein kann. Und dass es Kollegen gibt, die sich sehr viel Zeit nehmen und die sehr viel Respekt vor der individuellen Geschichte eines Menschen haben. Ich werde versuchen, mir daran ein Beispiel zu nehmen und meine Betreuten doch mal ein wenig öfter besuchen…
Artikel im Hamburger Abendblatt vom 05.11.10 „An deiner Seite - Wenn das Leben ins Wanken gerät“
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