Sonntag, 31. Oktober 2010, 18:05h

Vergewaltiger sollen keine Menschenrechte haben?

behrens

Dieser Satz – nur mit Ausrufungs- statt Fragezeichen - stand auf einem Schild, das von einer Anwohnerin demonstrativ in die Kamera gehalten wurde, als vor einigen Monaten der aus der Sicherungsverwahrung entlassene Gewaltverbrecher Hans W. in ihrer Nachbarschaft eine Wohnung beziehen wollte. Dazu kam es aber gar nicht erst, denn es wurde eine regelrechte Hatz veranstaltet, die dazu führte, dass Hans W. danach in verschiedenen Wohnungen untergebracht werden musste.

Hans W. war 30 Jahre in Sicherheitsverwahrung, als er durch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs quasi von einem Tag auf den anderen entlassen und ihm eine Wohnung zugewiesen wurde, deren Adresse dann durch die Presse an die Öffentlichkeit drang. Dadurch kam es dann zu der geschilderten Reaktion der Anwohner.

Ich bin weit davon entfernt, das von den Strafverteidigern regelmäßig heruntergeleierte Plädoyer von der schlimmen Kindheit anhören zu wollen. Mir geht es genau wie den meisten Menschen – ich kann es nicht mehr hören, wenn man versucht, in den Strafverfahren Täter zu Opfern zu machen.

Aber dennoch hat mich die Reaktion der Anwohner schockiert. Nicht nur weil die betreffende angemietete Wohnung genau bei mir um die Ecke lieg, sondern weil es anscheinend nur zwei Reaktionen gibt: entweder „Rübe ab“ oder aber „er ist doch selbst ein Opfer“. Ist es wirklich so überflüssig, sich endlich mal darüber Gedanken zu machen, wie man Gewaltverbrechen präventiv verhindert? Ich wiederhole nochmal: präventiv. Das, was man machen muss, bevor jemand Gewalttäter wird.

Wie wird jemand Gewalttäter? Auf Vermittlung des Anwalts wurde jetzt ein Interview mit der Hamburger Morgenpost gemacht. Liest man dieses Interview, dann ist die Frage schnell beantwortet: ein alkoholabhängiger Vater, der seinen Sohn regelmäßig misshandelte – manchmal sogar mit der Hundepeitsche. Irgendwann hat sich das Blatt gewendet und der Geschlagene wurde selbst zum Schläger.

Hat dies übrigens auch etwas mit dem Thema Betreuung zu tun? Ja! Ich bekomme durch meine Arbeit Einblick in Familien, in denen alles fehlt, was ein Kind braucht, um eine normale Kindheit und eine normale Entwicklung zu haben. Das fällt auch der Außenwelt irgendwann auf und es werden als geeignet empfundene pädagogische und soziale Hilfen angeboten. Hier eine pädagogische Betreuung – dort eine rechtliche. Hier ein Familienhelfer – dort eine pädagogische Frühforderung. Hier eine Ergotherapie – dort eine ambulante Psychotherapie. Und dann irgendwann eine stationäre psychiatrische Behandlung und eine stationäre pädagogische Wohngruppe. Und dann endet es irgendwann in Jugendhaft, die dann wiederum im regulären Strafvollzug endet.

Und aus einem traurigen Anlass (eigentlich sogar zwei Anlässe) innerhalb meiner aktuellen Arbeit heraus wage ich es jetzt zu sagen: Manchmal muss ein Kind früher aus einer Familie herausgenommen werden! Wenn Familien völlig unfähig sind, ein Kind gesund und liebevoll umsorgt aufwachsen zu lassen, dann reichen ambulante Hilfen nicht mehr. Die Einsicht in die Biographien von Gewalttätern machen dies mehr als deutlich.

Alles, was diese Gesellschaft an Reaktion auf die zunehmende Gewalt parat hat, ist der Ruf nach härterer – möglichst lebenslanger – Bestrafung. Damit macht man aber die Opfer nicht wieder lebendig. Und vor allem: man schützt auch nicht all diejenigen, die irgendwann einmal zu Opfer werden.

Es gibt eine Dokumentation über den Kindermörder Jürgen Bartsch, der in den 60er Jahren vier kleine Jungen bestialisch ermordet hat. Der Film gibt einen Einblick in eine Tragödie in ihrem gesamten Ablauf. Auch Alice Miller hat in ihrem Buch „Am Anfang war Erziehung“ ausführlich die Biographie von Jürgen Bartsch geschildert. Während des Studiums habe ich sowohl den Film als auch das Buch eingehend durchgenommen. Wie viele andere Studenten auch. Aber dabei ist es geblieben. Man weiß über eine Ursache. Aber man tut nichts dagegen. Ich auch nicht.

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