Mittwoch, 5. Mai 2010, 15:42h

Das Wesen der Kritik – Eigenlob oder Unzufriedenheit?

behrens

Während der vielen Jahre, die ich nun schon im Bereich der Berufsbetreuungen tätig bin, erhalte ich bei der Äußerung von Kritik an der Arbeitspraxis von Berufsbetreuern in steter Regelmäßigkeit immer wieder den Vorwurf des Eigenlobs. Die Motivation meiner Kritik wird nicht darin gesehen, dass ich einige Dinge für äußerst fragwürdig halte, sondern mir wird unterstellt, meine Arbeitsweise für besser als die der anderen zu halten. Ich habe schon viel über diesen äußerst merkwürdigen Rückschluss nachgedacht und dabei fiel mir auf, dass in meinen früheren Arbeitsbereichen dieser sonderbare Vorwurf weder jemals gegen mich noch gegen irgend jemanden aus dem Kollegenkreis erhoben wurde. Kritik wurde immer als das angesehen, was Kritik ihrer Natur nach ist – Unzufriedenheit mit etwas oder mit jemandem. Und eben dies scheint einigen Menschen völlig fremd zu sein.

Was ist daran eigentlich so ungewöhnlich, dass man etwas für fragwürdig und somit für veränderungswürdig hält? In meiner Ausbildung zur Sozialpädagogin wurde eben genau dies als Grundlage und Triebfeder allen Handelns begriffen – etwas in irgendeiner Form verändern zu wollen. Und zwar als immerwährender Prozess, der als Spiegelbild der sich wandelnden gesellschaftlichen Zustände selbst auch immer wieder verändert werden muss.

Aber vielleicht muss man es gar nicht so kompliziert ausdrücken sondern kann es in einer viel einfacheren Formel auf den Punkt bringen: Ich möchte Menschen so betreuen, wie ich selbst auch betreut werden möchte – nicht besser und nicht schlechter. Und weil ich selbst keine überhöhten Rechnungen bezahlen möchte, kritisiere ich Kollegen, die zur Zeiten der nichtpauschalierten Abrechnung Rechnungen in schwindelnder Höhe gestellt haben. Und wenn ich Kollegen kritisiere, die völlig überflüssige Anwaltsmandate erteilen, dann nicht deshalb, um stolz darauf hinzuweisen, dass ich selbst so etwas nicht tue, sondern weil mir vor dem Gedanken graut, irgendwann selbst einmal in die Situation zu kommen, in der ich einen Anwalt nur deswegen bezahlen muss, weil mein Betreuer mit ihm verwandt ist und ihm deswegen einen lukrativen Auftrag verschaffen möchte.

Apropos Eigenlob – ein Lob wird eigentlich nur für etwas besonders Hervorzuhebendes erteilt. Und ich halte es in keiner Weise für etwas besonders Hervorzuhebendes, wenn Rechnungen nicht gefälscht werden oder wenn keine unsinnigen und nichtbegründbaren Mandate erteilt werden. Dies sollte schlichtweg den Normalfall darstellen. Es macht nachdenklich, dass allein schon die Abneigung gegen fragwürdige Arbeitspraktiken als Eigenlob umgedeutet wird.

Ich habe vor kurzem ein Feedback auf meine Homepage erhalten, das für mich äußerst ungewöhnlich war. Ausnahmsweise mal kein Vorwurf des Eigenlobs, sondern jemand hat mir seinen Respekt ausgesprochen. Derjenige hat dabei allerdings auch betont, dass ich „ganz schön austeilen“ würde, was ich auch nicht abstreite, denn ich stimme mit den vielen Kritikern des Betreuungswesens überein, dass vieles nicht so läuft, wie es laufen sollte. Übrigens auch bei mir nicht. Auch ich habe schon Entscheidungen gefällt, die ich im nachherein als falsch ansehe. Und auch ich habe schon einmal Fristen versäumt oder mich bei Kalkulationen verrechnet. Die Frage ist aber, ob schon allein der Umstand, selbst Fehler zu machen, von dem Recht auf Kritik ausschließt. Wäre dies der Fall, dann käme dies konsequenterweise einem Kritikverbot gleich, da jeder Fehler macht. Die Sichtweise des „Wer von euch ohne Schuld ist, der werfe den ersten Stein“ soll vor dem voreiligen und selbstgefälligen Richten schützen, nicht aber vor dem Recht – und der Pflicht! – Verhaltensweisen in Frage zu stellen. Und vor allem sollte diese Sichtweise nicht als Entschuldigung missbraucht werden für feige Bequemlichkeit. Denn es ist oftmals nichts anderes als eben diese feige Bequemlichkeit, die der Grund dafür ist, alles und jeden kritiklos zu akzeptieren.

Jede noch so berechtigte Kritik mit dem Vorwurf des Eigenlobs abzuschmettern ist ein geschickter Schachzug, um gezielt abzulenken von der eigenen Taktik, sich jeder Auseinandersetzung und Stellungnahme zu entziehen. Nach dem Motto „Ich will nicht kritisiert werden, also kritisiere ich andere auch nicht“ – kann man sich bequem einen Schutzwall bauen.

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