Freitag, 15. Januar 2010, 01:55h
Hartz-IV als neue Zeitrechnung?
Zur Zeit häufen sich Fernsehdiskussionen zum Thema Hartz-IV. Dies ist ja auch immer wieder mein Thema, da ich überwiegend arme Menschen betreue. Was mir an den ganzen Diskussionen nicht gefällt, ist das Verdrängen der Tatsache, daß es schon vor Hartz-IV Arme gab – nämlich das große Heer der Sozialhilfeempfänger. Und das große Heer derjenigen, die schon immer wenig verdient haben, dann arbeitslos wurden, in die Arbeitslosenhilfe abrutschten, die wiederum so niedrig war, daß ergänzender Sozialhilfebezug erforderlich wurde.
Hartz-IV hat in dieser Gesellschaft, in der es nicht den Hauch von Gleichheit gibt, mit der Gleichmachung begonnen. Aber nicht irgendwo, sondern ausgerechnet bei den Armen. Hartz-IV hat die Gleichheit unter den Arbeitslosen geschaffen. Ein Arbeitsloser ist jetzt ein Arbeitsloser – egal ob jemand nun zuvor in der Kantine, am Fleißband oder in der Chefetage gearbeitet hat. Für all diejenigen, die einen gutbezahlten Job hatten, ist Hartz-IV unweigerlich mit sozialem Abstieg verbunden. Für die anderen hat Hartz-IV keine grundlegenden Veränderungen gebracht, da der Abstieg ja schon stattgefunden hat.
Das Armutsproblem in unserer Gesellschaft ist ein fundamentales und vielschichtiges Problem. Dies wird verschleiert, wenn man Hartz-VI als Beginn der Armut ansieht. Hartz-IV ist eine pseudo-sozialistische Gleichmacherei all derjenigen Menschen, die ihre Arbeit verloren haben. Aber es sollte nicht zur neuen Zeitrechnung in Sachen Armut hochstilisiert werden. Nur weil jetzt auch frühere Abteilungsleiter und Chefsekretärinnen mit dem Existenzminimum auskommen müssen, ist Armut noch nichts Neues.
Wenn man in dieser Gesellschaft etwas verändern will – was aber nicht der Fall zu sein scheint – dann muß man Armutsbekämpfung auch jenseits der Hartz-IV-Reform erfassen. Das ganze komplexe Gebilde aus Verflechtung von Wirtschaft und Macht und globalen Wechselwirkungen. Und man müßte heilige Kühe schlachten. An erster Stelle die heilige Kuh, die besagt, daß alles erlaubt ist, was in irgendeiner Form Geld bringt. Denn diese heilige Kuh macht eine Gesellschaft vollkommen steuerlos.
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