Freitag, 28. Oktober 2016, 01:17h
Auch das gibt es – ein Betreuer, der wegen eines Betreuten seinen Urlaub verschiebt
Zu einer der traumatischsten Situationen, die man erleben kann, gehört sicherlich der Verlust der eigenen Wohnung. Auch ein rechtlicher Betreuer kann so eine Situation nicht immer verhindern, denn nicht selten ist bei Übernahme der Betreuung schon so viel schiefgelaufen und so viel versäumt worden, dass es keine Rechtsmittel mehr gibt, die eine Räumung verhindern können. Erschwert wird dies dann noch dadurch, dass der vom drohenden Wohnungsverlust Betroffene nicht bereit ist, dieser Tatsache ins Auge zu sehen und dadurch die Vorbereitung erforderlicher Alternativmöglichkeiten verhindert.
Diese Situation erlebt hat vor kurzem ein früherer Kollege, der eine pflegebedürftige alte Frau betreut, bei der sich aus verschiedenen Gründen so hohe Mietschulden angehäuft hatten, dass auch die Einlegung sämtlicher möglichen Rechtsmittel nichts mehr an einer gerichtlich anberaumten Zwangsräumung ändern konnte. Die alte Dame reagierte mit Verdrängung der Realität und sah dem definitiv festgesetzten Räumungstermin in der Überzeugung entgegen, es würde letztendlich doch nicht dazu kommen. Sie stimmte zwar der Vereinbarung eines stationären Aufenthalts zum betreffenden Zeitpunkt zu, aber ging dennoch fest davon aus, dass ihr ihre Wohnung nach wie vor bei der Rückkehr weiterhin zur Verfügung stehen würde.
Der vom Gericht anberaumte Räumungstermin fiel unglücklicherweise genau in den Zeitraum des geplanten Urlaubs meines Kollegen und konnte nicht mehr verschoben werden. Was also tun? Die alte Dame in der katastrophalen Situation ohne Beistand lassen und außerdem einem eventuellem Handlungsbedarf aufgrund der Ortsabwesenheit nicht nachkommen können? Mein Kollege entschied sich anders und verschob seinen mit der Familie geplanten Urlaub.
Als er mir davon erzählte, schwankte meine Reaktion zwischen Anerkennung für sein großes Engagement und Bedenken, dass es ein viel zu großes Opfer darstellt, auf einen mit dem Partner geplanten gemeinsamen Urlaub zu verzichten. Mir fielen dabei frühere Situationen aus der Zeit meiner Tätigkeit als rechtliche Betreuerin ein, in denen Angehörige oder Betreute ihre Empörung darüber äußerten, dass ich „einfach so“ in Urlaub fuhr, obwohl ich mich während dieser Zeit dann nicht um ihre Probleme kümmern konnte. Mir fiel außerdem auch ein Gespräch mit dem früheren Leiter der Landesbetreuungsstelle ein, der mir auf meine Frage, was ihn zur Aufgabe seiner Betreuertätigkeit bewegte, antwortete: „Als Betreuer konnte ich eigentlich kein einziges Mal mit wirklich ruhigem Gewissen in Urlaub fahren.“
Ich kenne so manchen Betreuer, der jetzt sofort einwenden würde, alles sei nur eine Sache der Organisation. Wäre ich nicht selbst Betreuerin gewesen, dann würde ich dies vielleicht auch glauben. Aber es gibt sogenannte hoheitliche Maßnahmen, die definitiv nicht delegiert werden können, es sei denn, es wird ein Betreuer zur Vertretung bestellt, wozu das Gericht jedoch wegen des hohen administrativen Aufwands nur ungern bereit ist. Situationen wie Wohnungsräumungen, erforderliche geschlossene Unterbringungen (Zwangseinweisungen), Kontopfändungen aufgrund derer jemand plötzlich ohne Geld dasteht und nicht zuletzt gravierende und lebensbedrohliche Verschlechterungen des Gesundheitszustandes mit der Erfordernis umgehender Entscheidungen richten sich nicht nach dem Terminkalender des Betreuers.
Wie ein Betreuer mit diesen Anforderungen umgeht, ist nicht allein davon abhängig, ob er über kaufmännisches Organisationstalent verfügt, sondern wie wichtig ihm das Wohl des Betreuten ist. Beispielsweise wird jemand wie mein früherer Chef, der auf die Ablehnung einer dringend erforderlichen Kostenzusage nur mit dem lapidaren Kommentar „Ist eben Pech“ reagiert ohne sich um Alternativmöglichkeiten zu kümmern, auch kein Problem dabei haben, wenn ein alter Mensch einer Zwangsräumung ohne jeglichen Beistand ausgeliefert ist, denn auch das ist für ihn einfach nur „eben Pech.“
Als ich noch rechtliche Betreuerin war, hatte ich Überlegungen angestellt, was für Möglichkeiten geschaffen werden müssten, damit in Abwesenheitszeiten auch akute Notsituationen ausreichend und für alle Beteiligten angemessen vertreten werden können. In Bürogemeinschaften ist dies sicherlich in mancher Hinsicht einfacher, aber es gibt nun mal auch Betreuer, die allein arbeiten. Und auch in Bürogemeinschaften besteht das Problem der hoheitlichen Maßnahmen, die an die Person des Betreuers gebunden sind. Wie dem auch sei – es gab niemanden im Kollegenkreis, der Lust hatte, sich zu diesem Thema Gedanken zu machen.
Jetzt ist der Beitrag doch wieder länger geworden als geplant. Eigentlich wollte ich gar nicht so sehr auf die Probleme hinweisen, die sich für Betreuer durch unvorhergesehene schwerwiegende Ereignisse ergeben, wenn diese in den geplanten Urlaub fallen. Nein, eigentlich wollte ich etwas ganz anderes – nämlich darauf hinweisen, dass es doch auch immer wieder Menschen gibt, denen das Schicksal anderer Menschen nicht gleichgültig ist und die über ein hohes Maß an Verantwortungsgefühl verfügen. Vielleicht gelingt es ja irgendwann einmal, Bedingungen zu schaffen, unter denen solche Menschen ihre verantwortungsbewusste und engagierte Arbeit leisten können, ohne dabei auf den wohlverdienten Urlaub verzichten zu müssen.
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Auch im Falle von psychischen Erkrankungen gibt es ein Instrumentarium, die sogenannten Psychisch-Kranken-Gesetze (PsychKG), mit denen jemand, der selbst- oder fremdgefährdend ist, in die geschlossene Psychiatrie eingewiesen werden kann.
In einer Bürogemeinschaft können viele der vorbereitenden und administrativen Aufgaben von Kollegen übernommen und der zuständige Richter gegebenenfalls verständigt werden. Dennoch gibt es definitiv hoheitliche Bereiche, in denen Antragstellungen nur vom hierzu befugten Betreuer vorgenommen werden können. Hätte es bei dem im Beitrag geschilderten Fall meines früheren Kollegen irgendwelche Komplikationen gegeben (erfahrungsgemäß ist dies oft der Fall), dann sind die gegnerischen Anwälte, die in diesem Fall die Räumung veranlasst haben, nicht verpflichtet, sich darüber mit einer anderen Person als dem Betreuer auseinander zu setzen. Und auch Pflegedienste tun sich manchmal damit schwer. Es bleibt also immer ein „Restunbehagen“, wenn man bei komplizierten Fällen in Urlaub fährt.
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