Sonntag, 11. September 2016, 03:22h
Ein Film, der unter die Haut geht – das Miterleben des Leides eines geliebten Menschen
Wohl bringt die Liebe uns zuletzt auch Leid, denn eines muss ja vor dem andern sterben.
Friedrich Hebbel (1813-1863)
Wie kräftezehrend und extrem belastend es ist, mit einem Pflegebedürftigen oder Schwerkranken zusammenleben, wissen wahrscheinlich nur diejenigen, die dies selbst schon erlebt haben. Der Film „Liebe“ schildert diese Situation, in der das Zusammenleben eines alten Ehepaares zur Tragödie wird, als die Frau einen Schlaganfall erleidet.
Georges und Anne, gespielt von Jean-Louis Trintignant und Emmanuelle Riva, sind schon seit langem verheiratet und führen eine glückliche Ehe. Beide zeigen noch reges Interesse an Kultur und verbringen ihren Lebensabend ohne finanzielle Sorgen in einer schönen Wohnung in Paris. All dies ändert sich von einem Tag auf den anderen, als Anne einen Schlaganfall erleidet und sich von da an nur noch im Rollstuhl fortbewegen kann und auf Hilfe angewiesen ist. Zuerst bewältigt Georges die Aufgabe der Pflege und Versorgung seiner Ehefrau noch relativ gut, aber die Situation ändert sich dramatisch, als Anne einen zweiten Schlaganfall erleidet und danach völlig hilflos ist. Während Anne zuvor noch in der Lage war, sich zu äußern, ist ihr Sprachvermögen jetzt nahezu verschwunden, nur ein Wort äußert sie noch: „Hilfe“. Georges kommt an die Grenzen seiner Kraft, zumal Anne sich zunehmend weigert, Nahrung oder Flüssigkeit zu sich zu nehmen. Irgendwann kommt es zur Katastrophe und Georges erstickt seine Frau mit einem Kissen.
Georges kleidet seine Frau an und schmückt ihr Bett mit Blumen. Danach sieht Georges plötzlich seine Frau in voller Gesundheit in der Küche und wird von ihr daran erinnert, dass sie beide ausgehen wollen, was dann auch geschieht.
Es ist schwer zu beschreiben, welche Gefühle der Film auslöst. Ich würde es am ehesten mit Hoffnungslosigkeit bezeichnen. Der Regisseur Michael Haneke hat in einem Interview erklärt, bewusst die Situation eines wohlsituierten Ehepaars gewählt zu haben, um das Thema nicht auf ein Sozialdrama zu beschränken. Das war meines Erachtens eine weise Entscheidung, denn auch wenn finanzielle Mittel Krankheit und Pflegebedürftigkeit in mancher Hinsicht erleichtern können, so handelt es sich doch um eine Grenzsituation, deren Leid existentiell ist und somit unabhängig vom sozialen Status.
Der Film führt in die Welt zweier Menschen, von denen einer am Ende seines Lebens durch eine schwere Erkrankung aller körperlichen und geistigen Fähigkeiten beraubt wird und der andere diesen Verfall eines geliebten Menschen ohnmächtig miterleben muss und dadurch an die Grenzen seiner Kraft gelangt. Sicher, man kann einiges tun, um es leichter zu machen – ambulante Pflegedienste, Hospizmitarbeiter, pflegegerechte Umgebung und Hilfsmittel – aber all dies kann das Leiden nur lindern und nicht beheben. Es tut sehr weh, einen geliebten Menschen leiden zu sehen und es fordert eine fast schon übermenschliche Kraft, denjenigen in seinem Leid nicht allein zu lassen. Hanekes Film „Liebe“ macht dies einfühlsam deutlich, was sicherlich auch der enormen schauspielerischen Leistung Jean Louis Trintignants und Emmanuelle Rivas zu verdanken ist, die die beiden Protagonisten mit sehr viel Respekt und Würde darstellen.Und genau darum geht es auch bei der Betreuung von Menschen, die sich in einer derart belastenden und kräftezehrenden Situation befinden – Respekt und Würde.
In dem Film gibt es eine Szene, in der Anne von einer der Pflegerinnen sehr schroff und herrisch behandelt wird, was dazu führt, dass ihr von Georges gekündigt wird. Er begründet dies ihr gegenüber damit, dass sie für den Umgang mit Menschen völlig ungeeignet sei. Diese Ansicht teile ich voll und ganz, denn das Mindeste, was ein kranker und hilfloser Mensch und auch sein Angehöriger verdient hat, ist eine respektvolle und würdige Behandlung.
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Ich habe mich in letzter Zeit gedanklich damit auseinandergesetzt, weil wir beide älter werden, ich in einem Land lebe, wo ich eine Ausländerin bin etc.
Wir sind beide nicht sehr erbaut von der Idee in einem Pflegeheim zu leben. Meine Eltern haben die letzten 5 Jahre ihres Lebens im Heim gelebt, weil mein Vater ein Pflegefall war und meine Mutter nicht imstande war, ihn zu pflegen.
Das Personal war sehr gemischt. Selbst die netten Leute fand ich peinlich, weil sie meinen Vater z. B., der dement war, wie ein kleines Kind behandelt haben. Aber wenigstens waren sie liebevoll.
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Ich habe vor kurzem das Buch „Das Alter“ von Simone de Beauvoir gelesen – ein wahres Monumentalwerk, das ich gern nochmals in einem eigenen Beitrag würdigen möchte. Ich habe für das Buch lange gebraucht, weil es oftmals zu deprimierend war, zu viel auf einmal darin zu lesen. Aber es hat sich gelohnt, denn Beauvoir gibt einen sehr guten Überblick über die Geschichte des Alterns und dies vor allem auch kulturübergreifend. Es gibt weder „die gute alte Zeit“ noch ist es wahr, dass alte Menschen in anderen Kulturen grundsätzlich immer besser behandelt wurden und werden.
Haben Sie den Film "Liebe" auch gesehen?
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Ich sehe grad, ist ein französischer Film. Den könnte man sicher über Netflix bekommen.
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Netflix kenne ich gar nicht. Aber die meisten größeren Sender haben eine Mediathek, in der man die Filme noch einige Zeit später ansehen kann, ich nutze das gern, wenn ich den Anfang nicht ganz mitbekommen habe oder aber einige Szenen nochmals ansehen möchte.
Wenn man keine deprimierenden Filme mag, bzw. nicht erträgt, ist der Film wirklich nicht empfehlenswert, denn gerade weil er wie ein Kammerspiel aufgebaut ist, fühlt man sich irgendwann wie mittendrin und kann sich kaum entziehen.
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Ich stimme darin zu, dass es trotz der kultur- und statusunabhängigen Altersproblematik natürlich dennoch Unterschiede zwischen den verschiedenen Kulturen gibt. Ich betreue beispielsweise ein türkische Klientin, die eine 23jährige Tochter hat, mit der ich darüber sprach, ob für die Mutter nicht vielleicht ein betreutes Wohnen besser wäre, zumal die Tochter auch an die Gründung einer eigenen Familie denkt. Die Tochter antwortete mir völlig entgeistert: „Dann nehme ich meine Mutter natürlich mit.“ Ich habe in meiner langjährigen beruflichen Laufbahn noch keine Deutsche in dem Alter getroffen, die mit absoluter Selbstverständlichkeit davon ausgeht, den alleinlebenden Elternteil mit in die neugegründete Familie zu nehmen.
Andererseits hat mir gerade ein Klient aus Marokko erzählt, dass er sich große Sorgen um seine alternden Eltern macht, da es außer ihm keine Verwandten mehr gibt, die sich um die Eltern kümmern könnten. Diese Situation macht das Dilemma deutlich, in dem sich eben auch alte Menschen aus anderen Kulturkreisen befinden, denn auch wenn das familiäre Netz in Hinsicht auf die Sorge für die Eltern sehr viel verantwortungsbewusster ist, so bietet es dennoch keine wirkliche Garantie für eine 100prozentige Verlässlichkeit der Versorgung alter Menschen. Aus den verschiedensten Gründen kann es auch innerhalb der Familie dazu kommen, dass einfach niemand da ist, der sich um die alten Angehörigen kümmert. Aus diesem Grund sind in Europa irgendwann ja auch Altenheime geschaffen worden. Allerdings wurde dann aus diesem „Notbehelf“ für Menschen ohne Angehörige irgendwann die Regel.
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Meine Grossmutter war noch anders schlimm. Sie wiegelte gerne Menschen gegeneinander auf, erzählte Lügen und mischte sich in die Ehe meiner Eltern ein. Mein Vater hätte sie nie unter seinem Dach geduldet.
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