Dienstag, 3. Februar 2015, 01:53h
Zwei Charakterköpfe
Richard von Weizsäcker hat Kritik unterschiedlicher Ausprägung immer akzeptiert und sich damit auseinandergesetzt.
F.Pflüger, früherer Sprecher und Vertrauter Richard von Weizsäckers
Von allen Bundespräsidenten war er derjenige, der mir am besten gefallen hat. Was mir immer im Gedächtnis bleiben wird, ist eine von Wolfgang Menge moderierte Talkshow an der sich der Kabarettist Wolfgang Neuss plötzlich an den Tisch zum damaligen Bundespräsidenten von Weizsäcker setzte. Wolfgang Menges Kommentar lautete, dass das der Moment sei, vor dem sich jeder Talkmeister fürchtet. Im Nachherein war seine Furcht jedoch unbegründet, denn das Ergebnis war eine der genialsten und unterhaltsamsten Diskussionen, die jemals in einer Talkshow geführt wurden.
Selten habe ich eine Situation erlebt, in dem sich zwei so durch und durch unterschiedliche Menschen mit einer solchen Souveränität und auf absoluter Augenhöhe begegneten. Überrascht bin jetzt darüber, dass auch von Weizsäcker es ähnlich empfand, wie dieses vor kurzem ins Netz gestellte Video deutlich macht:
„Jemanden wie ihm bin ich natürlich nie begegnet. Früher nicht und später übrigens auch nie. Der Kerl war von einer Souveränität in seinem Charakter und auch in seinem Verstand Das ist mir eben ganz und gar unvergessen geblieben, obwohl das jetzt 25 Jahre her ist. Er hat mich dabei überzeugt durch seine Authentizität, die er dabei zeigte, durch sein Bekenntnis zu seiner eigenen Natur und seiner Lebensweise. Es gibt kaum eine Veranstaltung dieser Art, an die ich mich in meinem Gefühl so lebhaft erinnere und so dankbar dafür bin, dass ich sie eben erlebt habe, das ist dieses Gespräch gewesen und wem verdanke ich es – ihm! “
Die Diskussion war übrigens noch um etliches länger als dieser Ausschnitt und steigerte sich was die Situationskomik anbetraf noch beträchtlich. Alles in allem einer der orginellsten und amüsantesten Schlagabtausche, die ich jemals gesehen habe.
Die oben zitierte Aussage über Richard von Weizsäcker in Bezug auf seine Kritikbereitschaft deckt sich völlig mit dem, was von Weizsäcker in dem Interview aussagt, wenn er formuliert, dankbar für das Gespräch mit Neuss zu sein. Dies ist auch der Aufhänger für meinen Kommentar zu Richard von Weizsäcker in diesem Blog. Denn das Thema Kritik ist der Dreh- und Angelpunkt in der Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Themen – und somit natürlich auch mit dem Thema des Sozialen. Und anschaulicher kann man nicht verdeutlichen, was den Unterschied zwischen Geistesgröße und Krämerseele ausmacht: der Mut und die Lust an Auseinandersetzung mit dem, was anders ist. Während die Krämerseele in Selbstgefälligkeit und Alphamännchengehabe stagniert, nimmt Geistesgröße dankbar Neues auf und stellt sich immer wieder selbst in Frage.
Man bräuchte mehr Menschen vom Schlage Wolfgang Neuss und Richard von Weizsäcker.
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