Donnerstag, 25. Dezember 2014, 19:49h
Die katastrophale Wohnungslage in Hamburg, meine ganz persönliche Erfahrung damit und warum mir die Zukunft Angst macht
In Hamburg fehlt es schon seit langem überall an bezahlbaren Wohnraum und es herrscht eine Wohnungssituation, die nicht nur für Obdachlose, sondern auch für all jene, die aus gesundheitlichen oder sozialen Gründen dringend eine andere Wohnung benötigen oftmals in eine persönliche Katastrophe mündet.
Wie so eine Katastrophe aussehen kann, habe ich aus am eigenen Leib erfahren, als mein Stiefvater im Jahr 2005 einen Schlaganfall erlitt, durch den er sich nur noch im Rollstuhl fortbewegen konnte. Meine Eltern lebten damals in einem Hamburger Hochhausviertel in einer im vierten Stock gelegenen Wohnung ohne Fahrstuhl. Ein Krankentransport wird nur dann von der Kasse bezahlt, wenn der Betreffende zum Arzt oder ins Krankenhaus muss, ansonsten gibt es keine Möglichkeit, die Wohnung zu verlassen. Ich begann folglich sofort, nach einer behindertengerechten Wohnung zu suchen, was sich jedoch als extrem schwierig erwies.
Als meiner Mutter von einer Bekannten ihres Campingplatzes ein ausrangiertes Pflegebett angeboten wurde, kam ihr die Idee, meinen Stiefvater erstmal im Vorzelt ihres Wohnwagens auf dem Campingplatz unterzubringen. Dies war natürlich keine Dauerlösung, da der Winter in wenigen Montagen beginnen würde und ich suchte folglich weiterhin nach einer Wohnung, wobei ich auf die Mithilfe meiner Mutter verzichten musste, da diese voll und ganz mit der Pflege meines Stiefvaters beschäftigt war. Meine Mutter war immer eine tatkräftige Frau, die ihre Probleme selbst und ohne fremde Hilfe gelöst hat. Mit Antragstellungen und Kontaktaufnahme zur Behörden war sie jedoch völlig überfordert und die Situation gestaltete sich trotz meiner Unterstützung sehr schwierig und belastend.
Ich hatte dann irgendwann die Idee, nicht mehr in Hamburg nach einer behindertengerechten Wohnung zu suchen, sondern im Landkreis, in der sich der Campingplatz meiner Mutter befand. Bei der Stadtverwaltung der 60 km von Hamburg entfernten Kleinstadt erfuhr ich dann zu meiner Enttäuschung, dass es dort lediglich ein einziges behindertengerechtes Wohnhaus gibt. Ohne viel Hoffnung rief ich dann bei dem betreffenden Vermieter an. Dann geschah etwas, dass ich noch heute als ein Wunder empfinde: erst kurz vor meinem Anruf war jemand aus dem Haus verstorben und somit war umgehend eine Wohnung frei. Als ich der Vermieterin erzählte, dass mein pflegebedürftiger Stiefvater auf einem Campingplatz leben muss, weil es an seinem Wohnort keine behindertengerechte Wohnung gibt, reagierte sie nicht wie die Mitarbeiter der Hamburger Behörden mit Desinteresse, sondern empfand eine derartige Situation als so katastrophal, dass sie sofort ihr Jawort zur Vermietung gab.
Auch wenn alles nun schon Jahre zurückliegt, so sitzt mir der Horror der damaligen Situation immer noch in den Knochen. Denn die Situation meines pflegebedürftigen Stiefvaters ist keine Ausnahme, sondern wiederholt sich für mich tagtäglich in meiner Arbeit. Es gibt Menschen, deren Wohnsituation eine Katastrophe ist – Frauen mit kleinen Kindern, die mit einem gewalttätigen Ehemann zusammenleben, junge Menschen, die trotz schlimmster und belastender familiärer Verhältnisse bei den Eltern wohnen, Alleinstehende mit einer viel zu großen und entsprechend viel zu teuren Wohnung, denen Wohngeld und Sozialleistung mit dem Hinweis auf die Verpflichtung zur Suche nach einer billigeren Wohnung verweigert wird, Behinderte, die in einer völlig ungeeigneten Wohnung leben, in der sie sich überhaupt nicht bewegen können und alte Menschen, denen die Abschiebung ins Heim droht, weil es an geeigneten Seniorenwohnungen mangelt.
Sowohl die Erfahrungen aus meinem Arbeitsfeld als auch die persönliche Erfahrung mit meinem pflegebedürftigen Stiefvater haben bei mir das Vertrauen zerstört, was das staatliche Hilfesystem in Bezug auf Wohnraumversorgung behinderter, alter und obdachloser Menschen betrifft. Mit Sorge denke ich daran, was passieren könnte, wenn mich oder meinen Lebensgefährten einmal das gleiche Schicksal wie meinen Stiefvater treffen sollte und einer von uns durch plötzliche Erkrankung unsere im vierten Stock gelegene Wohnung nicht mehr nutzen kann. Oftmals wird in einer solchen Situation die Einrichtung einer Betreuung angeraten. Allerdings geht es einem Betreuer bei der Wohnungssuche leider nicht viel anders und auch ein Betreuer wird nur dann eine geeignete Wohnung anmieten können, wenn er eine findet. Da ein Heimplatz immer noch sehr viel leichter als behindertengerechter Wohnraum zu finden ist, würde zu allem Übel auch das Damoklesschwert der Heimeinweisung über uns schweben. Und dabei ist es nicht gerade beruhigend, welche Einstellung manche Betreuer in Bezug auf das Mitbestimmungsrecht des Betreuten besteht, wie ich es ja schon des Öfteren beschrieben habe.
Alles in Allem wenig Grund zum Optimismus. Es sei denn, es wird irgendwann mal wieder eine Generation von Sozialarbeitern geben, die sich daran erinnert, dass soziale Reformen nicht vom Himmel fallen und Sozialarbeit nicht zu trennen ist von der Einmischung in politische Verhältnisse. Das wäre dann das passende Abschlusswort für den baldigen Jahreswechsel – einen guten Rutsch in ein hoffentlich mit Reformen verbundenes Jahr 2015!
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Wohnraum, auch passender, ist nur dann nicht verfügbar, wenn man nicht gut genug betucht ist. Auch meine Eltern, die nie wirklich Knappheit an Kapital hatten, haben bereits jetzt vorgesorgt und sich zusätzlich zum schuldenfreien Zweifamilienhaus eine Eigentumswohnung in ihrer Nachbarstadt zugelegt, in die sie bei eintretenden Einschränkungen einziehen können. Barrierefreier Zugang und frei wählbare Service- und Pflegedienstleistungen inklusive. Alles nur eine Frage der finanziellen Mittel.
Das Bittere daran ist, dass es einen tunlichst nicht ereilen sollte, mittelmäßig bis gar nicht vermögend zu sein und angewiesen auf behindertengerechte Wohnung. In Berlin und anderen Großstädten werden ganze Viertel zu Tode gentrifiziert, während man alte Menschen aus ihrem gewohnten Lebensumfeld und ihrer Nachbarschaft herausreißt, weil sie sich nicht mehr rechnen. Leute bewerben sich um Wohnungen und können von Glück sagen, wenn sie gerade nicht die falsche Nase im Gesicht haben, die dem Makler nicht passt. Oder den Anschein finanzieller Minderausstattung, vorhandener oder gewünschter Kinder, fortgeschrittenen Alters oder anderer Gebrechen vermitteln.
Wir werden irgendwann an Kapitalismus im Endstadium verrecken. Die Verantwortlichen packen dann ihre Koffer und wandern in wärmere Gefilde.
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Als ich verzweifelt für eine Betreute eine neue Bleibe suchte, weil die alte Wohnung viel zu teuer war und ihr Wohngeld mit der Begründung der Verpflichtung zur Suche einer billigeren Wohnung verweigert wurde, stieß ich bei meiner Suche auf eine Penthouse Wohnung mit einer Monatsmiete von 1.500 € (!). Hätte noch vor 10 Jahren jemand gesagt, ein Vermieter würde allen Ernstes damit rechnen, in Wilhelmsburg Mieter für ein Penthouse zu finden, dann hätte sich jeder an die Stirn gefasst.
Politik hat sich weitgehend abhängig gemacht von Lobbyisten und alles wird der heiligen Kuh des Wirtschaftswachstums untergeordnet. Sozialer Wohnungsbau war gestern, heute wird die sogenannte „Aufwertung“ eines Bezirks großgeschrieben, die ja angeblich allen zugutekommen würde. Das ist natürlich völlige Augenwischerei, denn die ursprünglichen Bewohner werden durch die hohen Mieten und teuren Geschäfte vertrieben.
Das Thema altersgerechtes Wohnen betreffend kann ich gar nicht oft genug betonen, wie wichtig es ist, es so zu machen, wie es Deine Eltern getan haben – sich nämlich rechtzeitig eine für den Lebensabend geeignete Wohnung zu suchen. Es gibt nichts Schlimmeres, als wenn man den Zeitpunkt verpasst und die Ausführung eines erforderlichen Umzugs in fremde Hände geben muss. Selbst bei den besten Absichten wird dann alles über den Kopf der Betreffenden hinweg entschieden und es ist gerade für alte Menschen eine schmerzliche Erfahrung, wenn man etwas nicht mehr selbst bestimmen kann.
Für mich geht es manchmal an die Grenze meiner Belastbarkeit, wenn ich aus allernächster Nähe mitbekomme, wieviel Leid durch Wohnungslosigkeit verursacht wird, ohne dass ich etwas dagegen tun kann. Gerade kranke, alte und psychisch labile Menschen brauchen den Rahmen einer verlässlichen und menschenwürdigen Bleibe. Die Wohnungsämter haben sich längst ihrer eigentlichen Aufgabe der Wohnungszuweisung entledigt. Es gibt keine Bewerberlisten mehr, die, wenn auch mit einer langen Wartezeit verbunden, so doch irgendwann die Hoffnung auf eine Wohnung aufrechterhalten. Jetzt muss man realistischer Weise damit rechnen, sich über viele Jahre hinweg vergeblich um eine Wohnung zu bemühen. Wen wundert es dann noch, wenn sich die Menschen irgendwann resigniert aufgeben?
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