Donnerstag, 20. November 2014, 00:36h
Leider keine würdige Nachfolge
Gerade lief im Fernsehen der Film „Das Ende der Geduld“, der die Arbeit und das Wirken der verstorbenen Berliner Richterin Kirsten Heisig zur Grundlage hat, dem ich mich hier schon einmal gewidmet hatte. Da mich die Thematik sehr interessiert, sah ich mir den Film an und empfand ihn erfreulicherweise als weniger plakativ als ich erwartet hatte.
Als sehr ernüchternd empfand ich jedoch die anschließende Diskussionsrunde, an der eine Berliner Richterin, ein Berliner Staatsanwalt, ein Journalist und die Autorin und Journalistin Güner Balci teilnahmen. Güner Balci ist die Autorin der sehr einfühlsamen Dokumentation über Kirsten Heisig.
Auf die Frage an die Richterin, ob sie im Gerichtssaal denn auch schon solche Respektlosigkeit, wie im Film dargestellt erfahren hätte, antwortete sie, dass es die vielleicht manchmal gäbe, aber sie bräuchte nur „eine Augenbraue hochzuziehen“ und schon wäre damit Schluss. Der Herr Oberstaatsanwalt sagte aus, dass die Urteile im Großen und Ganzen von den Jugendlichen akzeptiert und ernst genommen werden würden, da anscheinend eine gewisse Einsicht in die Gerichtsbarkeit bestände. Außerdem betonten beide, dass sie noch nie Angst vor Racheaktionen gehabt hätten und auch bei anderen Richtern wäre dies eher unwahrscheinlich.
Mir fiel dabei eine Richterin aus dem Amtsgericht unseres Bezirks ein, deren Büro einen speziellen Türknauf hat, der sich nur von innen öffnen lässt. Grund dafür war eine massive Bedrohung. Und beim Thema Respekt vor Gerichtsurteilen erinnerte ich die Aussage eines früheren Bekannten, der sagte, dass er die ihm angedrohten vier Jahre Gefängnis „auf einer Arschbacke“ absitzen würde. Und ich kenne Jugendliche, die die Arbeitsauflagen so wenig ernst nehmen, dass sie sie gar nicht erst antreten.
Gerade, als ich dann ausschalten wollte, meldete sich die Autorin Güner Balci zu Wort und sagte aus, dass die Jugendlichen und Jungerwachsenen die laxen Rechtsprechungen überhaupt nicht ernst nehmen und sich darüber amüsieren würden. Und dies entspricht meines Erachtens mit Sicherheit der Realität, denn die extrem hohe Rückfallquote zeigt doch mehr als deutlich, dass es mit der Abschreckung der Urteilsprechungen nicht allzu weit her sein kann.
Während Kirsten Heisig die Situation der Jugendkriminalität ehrlich und knallhart auf den Punkt brachte und dabei auch schmerzhafte Versäumnisse nicht verschwieg, wirkten die beiden anwesenden Juristen profillos und höflich bemüht, das Bild eines bestens funktionierenden Rechtssystems zu vermitteln. Als vorgelesen wurde, dass der Anteil der Jugendlichen mit Migrationshintergrund mehr als 84 (!) Prozent beträgt, wurde dies kommentiert mit dem bemerkenswerten Satz „das kann man so nicht sehen“.
Doch, kann man. Muss man sogar, wenn man auch nur ein kleines bisschen daran interessiert ist, der bedrohlichen Entwicklung etwas entgegen zu setzen. Migrationsfamilien haben oftmals eine extrem hierarchische Struktur. Und hierarchische Strukturen produzieren große Aggressionen, wie die Soziologin Simone de Beauvoir schon vor vielen Jahren sehr treffend feststellte. Wie sich dies äußern kann, wird deutlich an einem Mordfall, der sich in Hamburg vor zwei Jahren ereignete. Ein Jugendlicher wurde von einem jungen Ausländer brutal zu Tode geschlagen. Unmittelbar zuvor hatte der Täter mit seinem älteren Bruder telefoniert, der ihn beleidigend und respektlos beschimpft hatte. Dem großen Bruder – dem agabey – darf allerdings auf keinen Fall widersprochen werden. Die Wut auf denjenigen, die man den hierarchischen Strukturen zufolge nicht zeigen darf, bekommt dann jemand anders ab. Und während eine Gewalttat in den betreffenden Herkunftsländern mit der Gefahr der vergeltenden Blutrache durch die Familie des Opfers verbunden ist, hat eine solche Tat in unserer abendländich geprägten Gesellschaft lediglich strafrechtliche Konsequenzen.
Es gibt keine guten oder schlechten Kulturen. Aber es gibt erhebliche Unterschiede in den jeweiligen Wertesystemen. Und es kann allergrößte Probleme geben, wenn diese aufeinanderprallen. Viel zu lange wurde dies ignoriert, weil man Ingnoranz mit Toleranz gleichsetzte. Kirsten Heisig, die sich direkt an die Eltern von straffälligen Jugendlichen wandte, war auf dem richtigen Weg. Dieser Weg kann nur in Konfrontation mit der Realität bestehen und nicht in deren Beschönigung.
Man kann sich des Gefühls nicht erwehren, dass es in der Diskussionsrunde mehr um eine PR-Veranstaltung für das deutsche Rechtssystem ging, als um die ehrliche und dringend erforderliche Auseinandersetzung mit der gesellschaftlichen Realität. Dies ist mir ja aus dem frühren Kollegenkreis nicht völlig unbekannt, aber ich hätte nicht erwartet, dass dies jetzt auch schon in Diskussionen unter Juristen Einzug hält. Wer weiß, vielleicht dauert es nicht mehr lange und auch die Amtsgerichte verfügen über Websites, in denen sich die Staatsanwälte und Richter als „hochqualifiziert und engagiert“ präsentieren.
Nein, eine würdige Nachfolge für Kirsten Heisig kann man darin beim besten Willen nicht erkennen. Schade.
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