Dienstag, 5. November 2013, 16:20h
Standesdünkel – Seelenverwandter des Rassismus
Schon seit längerem schiebe ich es vor mich her, etwas über die Gemeinsamkeiten von Standesdünkel und Rassismus zu schreiben. Was mich zögern ließ, ist der Umstand, dass der Begriff des Rassismus mittlerweile äußerst inflationär benutzt wird, wodurch dieser Begriff so verwässert wurde, dass es schwierig ist, ihn einem Vergleich zu unterziehen. Ist es also überhaupt möglich, auf der einen Seite Kritik an der undifferenzierten Verwendung des Begriff Rassismus zu üben und auf der anderen Seite diesen Begriff einer vergleichenden Betrachtung zu unterziehen? Ja, ich glaube, dass das eine dem anderen nicht widerspricht, denn es stellt einen erheblichen Unterschied dar, ob auf jegliches Problem im Zusammenleben verschiedener Kulturen mit dem Vorwurf des Rassismus reagiert wird oder ob man die diskriminierenden Merkmale des Rassismus anderen gesellschaftlichen Diskriminierungen vergleichend gegenüberstellt. Und obwohl momentan oftmals eine wirkliche Auseinandersetzung von vorneherein durch den Vorwurf des Rassismus verhindert wird, ist es unbestreitbar, dass es nach wie vor die rassistische Einstellung gibt, derzufolge Menschen aufgrund von körperlichen Merkmalen auf psychosoziale Eigenschaften festgelegt und abgewertet werden. Eine Einstellung, die schon immer jeglicher wissenschaftlicher Grundlage entbehrt hat und einzig und allein der Legitimation von Herrschaftsverhältnissen dient.
Was eben nicht mit Rassismus gleichgesetzt werden darf, ist die Tatsache, dass es natürlich kulturelle Unterschiede gibt, die vielfache Auswirkungen im gesellschaftlichen Miteinander haben und die oftmals ein erhebliches Konfliktpotential darstellen. Wie gesagt – die pauschalierende und undifferenzierte Gleichsetzung jeglicher Kritik mit Rassismus macht es nicht gerade leicht, sich dem Thema der gemeinsamen Wurzel von Rassismus und Standesdünkel zu widmen. Ich will es trotzdem versuchen.
Rassismus bewegt sich immer zwischen den beiden Polen der Herabwürdigung anderer und der Überhöhung der eigenen Person und steht für eine Weltsicht, die nie den Menschen an erster Stelle sieht, sondern nur dessen fragwürdige Zuordnung zu einer bestimmten Gruppe. Rassismus lebt vom Festhalten an vermeintlichen Unterschieden und ist nicht ohne die Ideologie des hartnäckig verteidigten Rechts auf Privilegien denkbar. Und genau dies macht seine Seelenverwandtschaft zum Standesdünkel deutlich. Während Zuordnungen zu vermeintlichen Rassen ein theoretisches Konstrukt sind, stellt die Beanspruchung von Privilegien dessen praktische Umsetzung dar. Darin besteht das Bindeglied zum Standesdünkel. Was Rassismus und Standesdünkel gemein ist, ist das Messen mit zweierlei Maßstäben.
Während ich früher der Meinung war, Standesdünkel findet man in erster Linie in aristokratischen Familien oder in den Chefetagen von Konzernen und Banken, so wurde ich längst eines besseren belehrt, denn auch andere Bereiche sind davon infiziert und leider ist auch der Bereich sozialer Arbeit nicht frei davon. Letzteres ist besonders tragisch, denn das Kennzeichnende einer Tätigkeit in sozialen Arbeitsfeldern ist ja gerade die Unterstützung von gesellschaftlich Benachteiligten und die Grundlage ist Solidarität und nicht Distanzierung. Soziale Arbeit darf und kann nur im Rahmen der humanistischen Maxime der Gleichheit ausgeführt werden und ist daher weder mit rassistischen Einstellungen noch mit Standesdünkel vereinbar. Und daraus folgt zwingend auch die Unvereinbarkeit mit dem vermeintlichen Recht auf Privilegien.
Und genauso wenig wie ein humanistischer Ansatz mit dem Anspruch auf Privilegien vereinbar ist, genauso wenig ist ein humanistischer Ansatz vereinbar mit der äußerst zweifelhaften Ideologie der Unterschiede der Bedürftigkeit. Um dies an einem Beispiel zu veranschaulichen: wenn sich ein Betreuer in steter Regelmäßigkeit über sein zu geringes Einkommen und die zu geringe Altersversorgung beschwert, obwohl sein Einkommen ausreichend ist für den alle 2 bis 3 Jahre erfolgenden Erwerb einer neuen Immobilie, so ist es völlig unverständlich, dass gerade dieser Betreuer Menschen Anspruchsdenken vorwirft, die ihren Altersabend nach einem Leben harter Arbeit nicht mit 100,00 € Taschengeld fristen wollen. Verständnis werden dafür nur diejenigen aufbringen, die das Recht auf Privilegien vertreten, also all jene, in deren fragwürdiger Weltsicht es je nach Herkunft, Berufsgruppe oder Rasse zwingend Unterschiede geben muss.
Ein weiteres Beispiel für diese zweifelhafte Haltung stellt jemand dar, der Meinung vertritt, dass eine sogenannte „hochqualifizierte“ Arbeit mehr wert ist als eine mit weniger Qualifikation verbundene Arbeit und der folglich mit strikter Selbstverständlichkeit auf Privilegien besteht, die er anderen auf keinen Fall zugestanden wissen will. Wie bereits erwähnt – in Chefetagen verwundert so eine Einstellung nicht, im Bereich der sozialen Arbeit stellt dies jedoch ein Armutszeugnis da. Die Sichtweise, derzufolge Arbeit zwingend in hochwertig und minderwertig eingeteilt werden muss, befindet sich in gefährlicher Nähe zu einer Einstellung, aufgrund der nicht nur die Arbeit, sondern auch die Menschen als solche in hochwertig und minderwertig eingeteilt werden.
Standesdünkel bezieht sich natürlich nicht nur auf den beruflichen Lebensbereich, sondern auch auf den familiären und auch hier gilt, dass es jeglichen humanistischen Grundsätzen widerspricht, wenn für die eigenen Angehörigen vehement Bedingungen eingefordert werden, die man bei anderen als grundsätzlich verzichtbar einstuft. Um jeden Preis eine gute Schulausbildung für das eigene Kind anzustreben, aber völlig gleichgültig gegenüber den Ausbildungsmöglichkeiten des restlichen Teils der Gesellschaft zu sein – das ist eine Einstellung wie sie in der Kolonialherrschaft bestand, in der man Menschen in zwei Klassen einteilte und Rechte für die Einheimischen als völlig überflüssig einstufte. Dabei wird deutlich, dass die Problematik des Standesdünkels sich nicht nur auf die Fragen des Zugangs zu gesellschaftlichen Möglichkeiten beschränkt, sondern auch immer mit einem Defizit an zwischenmenschlichen Respekt verbunden ist.
Man könnte noch etliche Beispiele anführen und ich habe dieses Thema ja auch schon in früheren Beiträgen des Öfteren angeschnitten. Worauf es mir in diesem Beitrag ankommt, ist die Verdeutlichung der Menschenverächtlichkeit des Standesdünkels und der damit verbundenen verheerenden gesellschaftlichen Auswirkungen, wobei ich deutlich machen möchte, dass diese Auswirkungen denen des Rassismus in keiner Weise nachstehen. Erst wenn man zur Kenntnis nimmt, dass Standesdünkel die gleiche Gefahr wie Rassismus beinhaltet, wird man in der Lage sein, ihm auch genauso entschieden zu begegnen.
Man mag zu Bedenken geben, dass Standesdünkel im Gegensatz zum Rassismus nicht zu Vernichtungslagern und Versklavung führt und deswegen harmloser ist. Dabei wird allerdings ausgeblendet, wie gefährlich die soziale Verelendung inzwischen vorangeschritten ist und welch ein Gewaltpotential dadurch entsteht. Ein Gewaltpotential, das durch Strukturen bedingt wird, die ethische Grundsätze auf den eigenen beruflichen oder familiären Gesellschaftsstand beschränken.
Für mich stellt es einen erschreckenden Umstand dar, dass die mühsam erkämpften Grundsätze der Gleichheit und der Menschenwürde nicht nur in der Geschäftswelt verloren gegangen sind, sondern mittlerweile auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen und letztendlich auch der Bereich der sozialen Arbeit nicht davon verschont blieb. Bisher war soziale Arbeit noch ein Refugium, dem zwar wie in anderen gesellschaftlichen Bereichen auch durch Sparzwänge enge Grenzen gesetzt wurde, aber in dem dennoch die Motivation immer am humanistischen Ziel der Verringerung von sozialer Benachteiligung orientiert war.
Um auf das Ausgangsthema der Seelenverwandtschaft von Standesdünkel und Rassismus zurückzukommen – es besteht kein grundsätzlicher Unterschied zwischen Rassismus und Standesdünkel. Beides ist in höchster Weise menschenverachtend und gefährlich und somit mit humanistischen Werten in keiner Weise vereinbar. Im Klartext stellt Standesdünkel genauso wie Rassismus nichts anderes dar als das Einteilen der Menschheit in Unter- und Herrenmenschen. Wo dies hinführt, sollte uns noch gut im Gedächtnis sein. Und deswegen erfordert beides gleichermaßen höchste Achtsamkeit und ein entschiedenes und lautes: Nein!
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