Freitag, 30. August 2013, 15:22h

Ein Weg, den man weitergehen sollte – Kirsten Heisig

behrens

Gestern habe ich mir eine Dokumentation über die Berliner Richterin Kirsten Heisig angesehen. Heisig war in Berlin-Neukölln die Hauptinitiatorin des „Neuköllner Modells zur besseren und schnelleren Verfolgung jugendlicher Straftäter“. Darüber hinaus hat sie den Dialog gesucht mit den Erziehungsberatungsstellen, der Polizei und den Eltern von straffälligen Jugendlichen. Ihr Ansatz ist nicht unumstritten, denn manche empfanden ihre Arbeitsweise als Einmischung. Aber genau das ist es, was sie von der Justiz forderte – sich aus der Amtsstube hinauszubegeben und in den Dialog zu treten mit denjenigen, um die es geht. Heisig hat ihre Erfahrungen mit straffälligen Jugendlichen und ihren Ansatz zur Bekämpfung der Jugendkriminalität in dem Buch „Das Ende der Geduld“ verarbeitet.

Ich habe das Buch nicht gelesen und ich habe auch kein Detailwissen über das Neuköllner Modell, sondern nur im Internet recherchiert. Aber ich stimme einer zeitnäheren Strafverfolgung jugendlicher Straftäter uneingeschränkt zu, denn wenn man einen Jugendlichen monatelang auf sein Verfahren warten lässt, verharmlost man die Straftat und setzt falsche Signale. Noch weitaus wichtiger erscheint mir der Ansatz, endlich einmal in den Dialog mit den betroffenen Eltern zu treten. Der Anteil jugendlicher Straftäter aus Familien mit Migrationshintergrund ist in einigen Berliner Stadtteilen überproportional groß und es ist völlig unverständlich, diese Tatsache zu ignorieren.

Auch wenn ich selbst keine Erfahrung in der Arbeit mit straffälligen Jugendlichen aus Migrantenfamilien habe, so habe ich immerhin 14 Jahre lang in einem Hamburger Stadtteil gearbeitet, in dem der Ausländeranteil höher als der der Deutschen ist, was auch für meinen Wohnort zutrifft. Und ich bin mir einer Sache absolut sicher: ohne die Einbeziehung der Familie wird jede Intervention in Bezug auf die Straffälligkeit Jugendlicher aus Migrationsfamilien kläglich scheitern. Im Gegensatz zu der Entwicklung in unserer westlichen Gesellschaft gibt es in vielen türkischen oder arabischen Familien nach wie vor klare Hierarchien und strikte Rollenaufteilung. Derselbe Jugendliche, der sich auf der Straße respektlos und gewalttätig gegenüber seinen Mitmenschen verhält, wagt oftmals seinen Eltern gegenüber nicht den geringsten Widerspruch. Das Defizit des Fehlens der für das Erwachsenenwerden erforderlichen Selbstbestimmung und der Respektierung der eigenen Person wird auf der Straße ausgelebt und kompensiert.

Mein Lebensgefährte, der lange Zeit in französischen Vorstädten als Erzieher mit aus arabischstämmigen Familien kommenden Jugendlichen gearbeitet hat, bestätigt voll und ganz die Erfahrung, dass der entscheidende Einfluss nicht bei Sozialarbeitern, sondern bei den Eltern liegt. Es kommt manchmal dazu, dass die Eltern ihre Kinder bei Straffälligkeit oder auch bei Drogenkonsum zurück ins Heimatdorf schicken. Abgesehen von der Frage, ob dies an den Ursachen etwas ändert oder nicht, so sollte man das Resultat nicht ignorieren: Die Jugendlichen sind am Heimatort durchaus in der Lage, sich gewaltfrei und sozial zu verhalten!

Zurück zu Kirsten Heisig. Ihr Ansatz erlangte nicht zuletzt auch durch den traurigen Umstand ihres Selbstmordes im Jahr 2010 mehr Bekanntheit. Die Gründe bleiben im Bereich der Spekulation, was immer eine heikle Angelegenheit darstellt. Da sie und ihr Mann sich einige Zeit zuvor getrennt haben, kann es durchaus sein, dass ihre Gründe nicht im Bereich ihrer beruflichen Tätigkeit zu suchen sind. Dennoch ist offensichtlich, dass ihr außerordentliches Engagement mit Sicherheit enorm kräftezehrend war. In der gestrigen Dokumentation kamen auch Kollegen aus Justiz und den Projekten zu Wort. Kirsten Heisigs ebenfalls als Jugendrichter arbeitender Kollege bekannte, dass er das Engagement seiner Kollegin bewunderte, aber manchmal mit ihren Ansprüchen kaum noch mithalten konnte. Und andere sagten aus, dass Kirsten Heisig sowohl unter Ungerechtigkeit enorm litt als auch unter der ständigen Konfrontation mit der Gewalt. Kirsten Heisig selbst sagte auch in einem ihrer zahlreichen Interviews, dass die extremen Gewalttaten der Jugendlichen und insbesondere das völlige Fehlen jeglichen Mitgefühls mit den Opfern für sie kaum noch fassbar seien. Letztendlich mag es zu ihrer Verzweiflung beigetragen haben, dass nicht alle hinter ihr standen und sie auch angefeindet wurde. Denn nach wie vor gibt es jene Menschen, die selbst den geringsten Ansatz einer Thematisierung der Straffälligkeit von Ausländern sofort als verfehlt und rassistisch brandmarken. Und dann gibt es natürlich auch immer noch jene, für die es völlig unverständlich ist, dass jemand es nicht einfach dabei belässt, nur das zu tun, wofür er bezahlt wird, sondern einen gesellschaftlichen Bezug herstellen möchte.

Und damit spanne ich den Bogen zur Betreuerarbeit. Auch einige der Betreuer vertreten die Einstellung „Ich tue nur das, wofür ich bezahlt werde“, die mit einem völligen Desinteresse an allen gesellschaftlichen Zusammenhängen einhergeht. Und auch einige Betreuer zeigen ein völliges Unverständnis für die Wichtigkeit eines Dialogs mit den Betroffenen. Und manchmal gipfelt dies dann sogar in einem generellen Verbot jeder Kritik und selbst jeglicher Diskussion. Dass dies in eine Sackgasse führt braucht man sicher nicht länger zu erläutern.

Ich schließe mit den Worten eines türkischen Vaters, der in einer Elterninitiative tätig ist, die mit Kirsten Heisig zusammengearbeitet hat: „Als ich von ihrem Tod gehört habe, habe ich mich zurückgezogen und eine Stunde lang geweint“. Ich glaube, diese Worte machen mehr als jede Analyse deutlich, wie unverzichtbar Menschen wie Kirsten Heisig für unsere Gesellschaft sind. Und es müssen Wege gefunden werden, den Weg des Dialogs und der Miteinbeziehung gesellschaftlicher Zusammenhänge zu gehen, ohne sich dabei als Einzelner völlig aufzureiben. Vielleicht hätte Kirsten Heisig einfach nur mehr Unterstützung gebraucht um den begonnenen Weg weiterzuführen.

Wen die Dokumentation interessiert: hier der Link: http://www.youtube.com/watch?v=qiLZdjARFHk

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Ich hoffe ja, dass die Anzahl der Menschen, die das Ganze und nicht nur die Bausteine in Isolation sehen - was, wie Sie richtig bemerkten, in der menschlichen Gesellschaft überhaupt nicht möglich ist - in Zukunft weiter ansteigen und sich diese Erkenntnis weiter durchsetzen wird. Nachhaltigkeit und Veränderung sind sonst gar nicht zu leisten bzw. zu bewirken.

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Es wäre wirklich zu hoffen. Aber mittlerweile ist mein Optimismus eher verhalten und die Tatsache, dass sich Kirsten Heisig das Leben genommen hat, stimmt mich noch negativer. Die überwiegende Mehrheit, die lediglich gut verdienen will steht einer Minderheit gegenüber, die sich aufreibt. Das kann nicht funktionieren und gibt wenig Grund zur Hoffnung.

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