Montag, 18. Februar 2013, 12:18h
Fremdschämen
Die Sendung bei Maischberger mit dem Titel „Entmündigt – wenn die Betreuung zum Albtraum wird“ hat Reaktionen von allen Seiten auf sich gezogen. Man muss zur Sendung vorab sagen, dass die Auswahl der eingeladenen Gäste nicht besonders ausgewogen war. Für die Seite derer, die die Praxis des Betreuungsrechts kritisieren, waren zwei Angehörige von Betreuten eingeladen worden sowie ein Rechtsanwalt. Die Situation von Betreuern wurde allein durch den Vorsitzenden des Berufsverbandes der Betreuer vertreten. Außerdem waren noch zwei weitgehend neutrale Personen anwesend, denen es nicht um Kritik an Betreuern ging, sondern um die Darstellung der Situation als Angehörige eines Kranken, bzw. hilfebedürftigen Menschen.
Von Seiten der Angehörigen wurden massive Vorwürfe gegen die Betreuer ihrer Angehörigen erhoben und auch der Anwalt vertrat vehement die Ansicht, dass bei der Führung der Betreuungen nicht das Interesse des Betreuten und seiner Angehörigen im Vordergrund steht, sondern das der Betreuer. Der Kern der Kritik der Angehörigen lautete, dass die jeweilige Betreuerin die Betreute gegen den Willen der Angehörigen in ein Heim einweisen ließ, obwohl eine Versorgung in der eigenen Wohnung durchaus möglich gewesen wäre.
Es war keine leichte Situation für den Vertreter der Berufsbetreuer, dieser massiven Kritik etwas entgegenzusetzen, zumal auch ein Film eingespielt wurde, der den Abtransport der Mutter in ein Heim unter Polizeieinsatz zeigte. Im Grunde gibt es auch nur zwei Möglichkeiten auf diese Vorwürfe zu reagieren: zum einen kann man entgegnen, dass sich die dargestellten Fälle auf keinen Fall so zugetragen haben können und zum anderen kann man antworten, dass man die dargestellten Fälle zwar nicht grundsätzlich anzweifelt, aber dennoch das Gros der Betreuer anders arbeitet und den Willen der Angehörigen nicht einfach ignoriert. Der Vorsitzende der Berufsbetreuer entschied sich zu letzterer Möglichkeit. Und dies stieß unter Kollegen nicht nur auf Zustimmung, denn man hätte deren Ansicht nach viel vehementer die genannten Beispiele in Frage stellen und vor allen Dingen darauf hinweisen müssen, wie engagiert doch viele Berufsbetreuer arbeiten.
Zwei Meinungen, die für sich genommen durchaus ihre Berechtigung haben. Es wäre dabei allerdings sehr interessant, einmal gedanklich durchzuspielen, welche Wirkung das strikte Infragestellen dargebrachter Vorwürfe wohl auf die Zuschauer haben mag. Und dabei sollte man einfach mal die Berufsgruppe austauschen und sich vorstellen, dass es ein anderes Thema betrifft. Angenommen, es gäbe eine Sendung zum Thema Krebsbehandlung und es wären Betroffene mit sehr negativen Erfahrungen geladen sowie auch ein Vertreter der Ärztekammer. Angenommen, dieser Vertreter würde alle Kritik rigoros zurückweisen und seine Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Betroffenen äußern und außerdem ausdrücklich betonen, wie professionell und engagiert die Ärzte die Behandlung durchführen.
Ich habe meine Zweifel, ob so eine Argumentation tatsächlich so überzeugend wirken würde, wie es manche Kollegen annehmen, denn nicht auf jeden macht es einen seriösen Eindruck, wenn Kritik grundsätzlich als unberechtigt dargestellt wird und auf viele wird dies eher wie ein Ablenkungsmanöver wirken, um sich mit der eigentlichen Kritik nicht auseinandersetzen zu müssen. Wobei im Falle der Betreuer – ob man dies nun gern hört oder nicht – leider erwiesenermaßen nicht jede Kritikäußerung völlig unberechtigt ist. Und in sofern halte ich die Hinweis des Vertreters des Berufsverbandes für richtig, dass es auch unter den Betreuern schwarze Schafe gibt; das Gros der Betreuer jedoch verantwortungsbewusst und vorschriftsmäßig arbeitet. Aber für diese Äußerung gab es Schelte und es wurde – da sind wir bei der Überschrift – der Ausdruck des Fremdschämens gebraucht.
Es gibt viele Ausdrücke, an die ich mich nie gewöhnen werde. „Fremdschämen“ ist einer davon. Diesen Begriff assoziiere ich mit Menschen wie zum Beispiel Dieter Bohlen, bei dem dieser Begriff zum Standartvokabular gehört und der oft und gern damit zum Ausdruck bringen will, wie blamabel und miserabel jemand etwas darstellt. Diesen Begriff allerdings darauf anzuwenden, dass jemand eine definitiv vorhandene Tatsache nicht abstreitet, löst bei mir Unverständnis aus. Da wird anscheinend Ursache und Wirkung verwechselt, denn Scham sollte man nicht für denjenigen empfinden, der inakzeptables Verhalten nicht abstreitet, sondern für denjenigen, der inakzeptabel handelt. Ebenfalls löst es bei mir Unverständnis aus, wenn jemand der Ansicht ist, dass es ausreicht, den Focus auf die positive Darstellung zu legen, um auch als gut bewertet zu werden. Werbung mag ja durchaus ihre Wirkung haben, wenn es um die Bekanntmachung und Information über eine Dienstleistung geht. Wenn es allerdings zunehmend Menschen gibt, die mit dieser Dienstleistung nicht zufrieden sind, kann diese Unzufriedenheit auch durch eine professionell positiv gestaltete Außendarstellung nicht verhindert werden.
Man sollte Menschen in ihrer Kritikfähigkeit nicht unterschätzen. Ein eloquent und wortgewaltig vorgetragenes Plädoyer für Betreuungsarbeit wird nur dann eine Wirkung entfalten, wenn diese mit der tatsächlichen Erfahrung in der Bevölkerung auch übereinstimmt. Alles andere wird – früher oder später – als Mogelpackung in die Kritik geraten. Dies wäre dann in der Tat etwas, bei dem das Gefühl der Scham seine Berechtigung haben könnte.
Die Bereitschaft, Kritik ernst zu nehmen und sich mit ihr auseinanderzusetzen wäre mit Sicherheit für einen Berufsstand die beste Werbung und eine realistische Möglichkeit, das umzusetzen, worum es bei der Reform des Betreuungsgesetz im Kern geht – Demokratie!
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