Samstag, 29. Dezember 2012, 13:28h
Die Welt auf Pump – Kaufsucht
Gestern las ich in meiner Tageszeitung eine kleine Notiz über Kaufsucht. Eine Untersuchung an der Uni ergab, dass die Zahl derer, die an Kaufsucht leiden, von 7 Prozent im Jahr 2010 mittlerweile auf 11 Prozent gestiegen ist. Die Befragungen ergaben außerdem, dass sich rund ein Viertel der Bevölkerung nicht aus einem tatsächlichen Bedarf etwas kauft, sondern um einen emotionellen Ausgleich zu schaffen.
Ich frage mich, ob es so etwas wie Kaufsucht nicht schon so lange gibt, wie es auch das Kaufen gibt, was man sicherlich mit Ja beantworten kann. Viel zu besitzen war schon immer attraktiver als wenig zu besitzen. Besitz schafft Sicherheit und Annehmlichkeiten. Dagegen ist – bis auf wenige Ausnahmen wie z.B. Menschen, die im Rahmen eines spirituellen Lebens bewusst auf Besitz verzichten – niemand gefeit.
Was aber den gravierenden Unterschied zu heute und früher ausmacht, ist zum einen die Leichtigkeit, mit der gekauft werden kann und zum anderen das Ausmaß und die Allgegenwärtigkeit des Angebots. Früher musste man wohl oder übel erstmal hart arbeiten und mühsam sparen, um sich dann etwas zu gönnen. Heute ist dies nicht mehr der Fall, erst recht nicht nach dem Einzug des Internets. Durch einen Mausklick hat man zwei Tage später das ersehnte Produkt im Paket vor der Haustür. Bis das Ganze dann auffliegt und die Prozedur der Mahnschreiben, Vollstreckungsankündigungen und der Besuche des Gerichtsvollziehers durchlaufen ist, hat man schon längst die Wohnung vollgestellt mit vielen schönen, bunten Dingen. Und selbst danach kann man munter weitermachen, weil es immer noch Unmengen von Warenanbietern gibt, die nichts von den Eidesstattlichen Versicherungen und Insolvenzverfahren wissen.
Manchmal kommen dann irgendwann wir Betreuer ins Spiel. Ein Spiel, das wenig Spaß macht und mit Unmengen von Gläubigerschreiben und der ständigen Drohung von Kontopfändungen verbunden ist. Berge von Korrespondenz und mühseliges Anfertigen einer tabellarischen Schuldenübersicht, die immer dem tatsächlichen Stand hinterherhinkt. Akribisches Ausrechnen des zur Verfügung stehenden Lebensunterhalts und der eventuell möglichen Raten oder Vergleichszahlungen. Hat man dann tatsächlich damit begonnen, wird manchmal wieder alles über den Haufen geworfen, weil wieder eine neue Forderung auftaucht. So wie es bei mir jetzt kurz vor Weihnachten der Fall war, als ich einen Rentenbescheid für einen Betreuten erhielt, der eine Pfändung auswies. Nachdem ich etwa zwei Stunden lang telefonierte und dabei großes Glück hatte, dass ich sogar die meisten tatsächlich erreichte (Rentenstelle, Pfändungsabteilung, Gläubiger) und nachdem ich dann etliche Faxe geschrieben hatte, konnte ich die Angelegenheit so halbwegs regeln. Meine anderen ebenso dringenden Arbeiten blieben allerdings dabei liegen.
Dem relativ modernen Begriff der Kaufsucht liegt die Fähigkeit des Menschen zugrunde, unbefriedigte Bedürfnisse zu verlagern. Vielen Menschen bleibt die Erfüllung ihrer grundlegenden Bedürfnisse verwehrt. Bedürfnisse nach sozialer Anerkennung, nach tragfähigen menschlichen Kontakten, nach einem menschenwürdigen Umfeld und nach einer sinnerfüllten Tätigkeit. Daran mangelt es vielen. Und in diese Lücke schlägt die schöne bunte Warenwelt wie eine Bombe ein. Wenn es nicht so leicht wäre, auf diese schöne bunte Warenwelt auszuweichen, müsste man mühsam und zäh an der Veränderung seiner Lebensumwelt arbeiten. Aber das ist schon lange nicht mehr der Fall, weil eben nichts leichter ist als das Leben nach der Devise: Heute kaufen – Morgen bezahlen. Und mittlerweile kann man den zweiten Teil dieser Lebensdivise getrost ausblenden und lässt das Bezahlen einfach ganz weg.
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