Mittwoch, 28. März 2012, 14:53h

Denunziation und Solidarität

behrens

Es kommt in der Betreuungsarbeit immer wieder vor, dass sich die Betreuten oder deren Angehörige über Betreuer beschweren, wobei berechtigte und unberechtigte Beschwerden sich dabei die Waage halten. Betreuungsarbeit ist ein sehr konfliktträchtiges Arbeitsfeld, denn wenn Entscheidungen gegen den Willen des Betreuten getroffen werden müssen, löst dies verständlicherweise zwangsläufig Auseinandersetzungen aus.

Manchmal gibt es aber nicht nur Beschwerden, sondern es kommt zur Denunziation. Und dies ist mir vor einigen Wochen passiert. Ich hatte für eine schwer krebskranke Betreute den Kontakt zu einem ambulanten Hospizdienst hergestellt, da sie meiner Einschätzung nach nicht nur jemanden für die rein pflegerische Versorgung, sondern auch jemanden für Gespräche benötigte. Das erste Gespräch verlief dann auch sehr positiv und die betreffende Mitarbeiterin sagte mir, dass meine Betreute sehr viel über ihre Ängste und Sorgen gesprochen hätte. Dies wurde mir von meiner Betreuten bestätigt, die mir sagte, dass sie weitere Gespräche wünsche. Eigentlich hätte alles harmonisch und zur Zufriedenheit meiner Betreuten verlaufen können. Eigentlich. Aber dies war nicht der Fall.

Aus Gründen, über die ich nur spekulieren kann, behauptete ein (vermeintlicher) Freund meiner Betreuten, dass ich ihr einen christlichen Hospizdienst geschickt hätte, der sie „mit der Bibel in der Hand“ aufgesucht hätte, obwohl sie doch Muslimin sei. Nichts an dieser Aussage stimmte, denn weder handelte es sich um einen christlichen Hospizdienst, noch kam irgendjemand mit einer Bibel zu meiner Betreuten, noch war meine Betreute muslimisch. Man hätte diesen Unsinn also komplett ignorieren können, wenn der Freund meiner Betreuten es dabei belassen hätte und sich nicht nur an das Gericht, sondern auch noch an zwei muslimische Zentren (eines davon als fundamentalistisch bekannt) gewandt hätte, wo er unter Nennung meines Namens darum bat, sofort etwas gegen meinen Frevel zu tun und einen muslimischen Hospizdienst zu beauftragen.

Es wird viel über religiöse Toleranz gesprochen, wobei allerdings die Realität nicht immer mit den Behauptungen übereinstimmt. Es gibt Religionen, in denen Konversion eine Todsünde ist, wobei diese Todsünde sowohl von denjenigen, die konvertieren, als auch von denjenigen, die im Ruf stehen, dazu aufzufordern, begangen wird. Mit anderen Worten – in fundamentalistischen Kreisen kann es für jemanden sehr schlimme Folgen haben, wenn unterstellt wird, dass er einen vermeintlich christlichen Hospizdienst mit einer vermeintlichen Bibel zu einem vermeintlich nichtchristlichen Menschen schickt. Und genau dies war auch die Absicht des vermeintlichen Freundes - mich in Schwierigkeiten zu bringen.

Ich setzte mich sofort daran, den Sachverhalt schriftlich möglichst klar und deutlich zu formulieren und den betreffenden Zentren zu schicken. Wobei ich mir darüber im Klaren war, dass man zwar sowohl meiner Schilderung Glauben schenken könnte, als auch der des Freundes meiner Betreuten. Allerdings bekam ich nach einiger Zeit sowohl schriftlich als auch telefonisch Rückmeldung, die ersichtlich machte, dass meine Schilderung nicht angezweifelt wurde. Mir wurde außerdem auch gesagt, dass es überhaupt keine muslimischen Hospizmitarbeiter geben würde und es daher auch nicht von vorneherein als Problem angesehen wird, wenn betreuende Mitarbeiter einen anderen Glauben haben.

Was diesen durch und durch unerfreulichen Vorfall so tragisch macht, ist die Tatsache, dass ich meine Zeit viel lieber für die Organisation der Versorgung meiner Betreuten aufgewendet hätte und nicht in der Auseinandersetzung mit völlig falschen Anschuldigungen eines Menschen, den man nur als widerwärtig bezeichnen kann. Insbesondere der Aspekt, dass die Erkrankung meiner Betreuten schon so weit fortgeschritten war, dass sie nur kurze Zeit später verstarb, macht die Vergeudung von wertvoller Zeit so bitter.

Trotz der Tragik des ganzen Geschehens gibt es aber noch etwas, was unbedingt erwähnen möchte. Ich stand in der äußerst belastenden Situation, in der ich völlig falschen Anschuldigungen ausgesetzt war, nicht gänzlich allein dar. Sowohl die Hospizmitarbeiterin als auch die pädagogische Mitarbeiterin meiner Betreuten hatten mir sofort Unterstützung zugesagt und mir spontan angeboten, gegebenenfalls Aussagen zur Richtigstellung der falschen Anschuldigungen zu machen. Das mag jetzt so manchem als etwas Normales erscheinen. Ist es vielleicht auch im Bereich manch anderer Tätigkeitsfelder. Im Bereich der Betreuung ist dies allerdings durch und durch ungewöhnlich. Egal wie ungerechtfertigt und haltlos Anschuldigungen gegen Betreuer auch sein mögen – es gilt die ungeschriebene Regel, dass dies einzig und allein die Privatangelegenheit der betreffenden Kollegen darstellt und es nicht die geringste moralische Verpflichtung gibt, sich solidarisch zu zeigen.

Und gerade deswegen möchte ich mich bei den beiden Mitarbeiterinnen hiermit von ganzem Herzen für ihre Solidarität bedanken!

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