Sonntag, 26. Februar 2012, 00:29h
Ein Ort zum Sterben – aber bitte nicht in der eignen Nachbarschaft
Vor einiger Zeit hatte ich über ein Hospiz einer benachbarten Kleinstadt. geschrieben. Im Hamburger Süden gibt einen Hospizverein, der schwerkranke Menschen ambulant betreut. Der Verein strebt schon seit langem die Einrichtung eines stationären Hospizes an und vor kurzem hat man nun endlich ein Gebäude gefunden, das die Bedingungen für die Einrichtung eines Hospizes erfüllt. Es könnte also schon in Kürze losgehen – wenn...ja, wenn es nicht Menschen geben würde, die mit Hilfe eines Anwalts gegen die Einrichtung des Hospizes in ihrer Nachbarschaft vorgehen würden. Nicht, dass die Anwohner etwas gegen ein Hospiz an sich hätten, natürlich ist sich jeder bewusst, wie wertvoll so eine Einrichtung für die Gesellschaft ist. Nur eben bitte nicht in der eigenen Nachbarschaft. Argumentiert wird mit der Befürchtung, dass ein Hospiz in unmittelbarer Nachbarschaft zu einem Wertverlust der Grundstücke führen könnte.
Um was für einen Stadtteil handelt es sich? Eine kleine Eigenheimsiedlung mit Einfamilien- und Reihenhäusern. Saubere, verkehrsberuhigte Straßen, akkurat angelegte Vorgärten und gepflegte Hausfassaden ohne Graffitischmierereien. Ein Stadtteil ohne Hartz-IV-Problematik, in welchem die meisten der Kinder eine höhere Schule besuchen und Reit- oder Ballettunterricht erhalten.
Diese nette kleinbürgerliche Idylle soll nun kaputtgemacht werden durch ein Haus, in dem keine netten Familien mit Kindern wohnen, sondern Todkranke. Das können sich die netten Familien natürlich nicht gefallen lassen.
Ich kann kaum ausdrücken, welch Übelkeit mir das Verhalten der netten Familien auslöst. Ich hatte schon sein langem gehofft, dass endlich ein Hospiz in der Nähe entstehen würde, weil es sehr wichtig ist, dass ein Sterbender nicht in eine völlig fremde Gegend verfrachtet wird, wo ihn Freunde und Verwandte nur unter Schwierigkeiten besuchen können. Und jetzt wird es zunichte gemacht durch die netten Familien. Ich frage mich, wer in unserer Gesellschaft eigentlich die Asozialen sind….
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Mal sehen, wie es den Begüterten geht, wenn sie selbst, ausgemergelt vom Krebs, dürr und schwach und für niemanden mehr attraktiv, im Bett liegen und sich wünschen, dass sich jemand um sie kümmert.
Aber bitte, das Sterben soll anderswo vor sich gehen, nur nicht in unserer heilen Vorstadtwelt. Sterben ist ja hässlich, Sterben ist schmerzhaft und Sterben lässt sich nicht verhindern - aber so lange wir noch nicht dran sind, wollen wir bitte gern in unserer gepflegten Messing-Haustürknäufe-und-Buchsbaum-Welt unter uns bleiben...
Mich überkommt die pure Abscheu.
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Ich bin der Auffassung, wer das Sterben und den Tod nicht akzeptiert, ist nicht wirklich in der Lage, zu leben. Das ist das Tragische an diesen Leuten in ihren Palästen: Sie sind eigentlich schon tot, weil sie vor lauter Furcht davor vergessen, zu leben.
Ich setze mich mit dem Thema ja auch immer wieder auseinander (mir hat z.B. das Buch von Beate Lakotta so gut gefallen), und ich weiß aus eigener Erfahrung, wie schmerzhaft, aber auch enorm bereichernd die Begegnung mit Sterbenden sein kann.
Mich überrascht jedoch das Ausmaß des Tabus. Ich dachte mir doch, gerade in "gehobenen" Kreisen habe man irgendeinen Modus Vivendi das Thema betreffend gefunden, während ich die Angst vorm Sterben in bildungsferneren Schichten vollkommen nachvollziehen kann. Aber vielleicht ist es gerade das - die Vermeidung einer unmittelbaren Erfahrung - die solche Menschen davon abhält, das Ende des Lebens zu begreifen. In gesellschaftlichen Kreisen, in denen es ohnehin mehr auf das Außen ankommt, darf man vielleicht nicht erwarten, dass die Menschen so weit nach innen gehen wollen. Viel zu gefährlich.
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