Samstag, 4. Februar 2012, 12:58h
Flüchtende Betreute, anstehenden Operationen, Versäumnisse und ein Berg Unerledigtes
Bei der Arbeit als Betreuerin kann man noch so gut planen und organisieren – man kann nicht verhindern, dass alles wieder von den Betreuten oder vom Schicksal über den Haufen geschmissen wird.
Eine meiner Betreuten ist an Krebs erkrankt. Der Krebs ist schon so weit fortgeschritten, dass sich in mehreren Organen Metastasen gebildet haben und der Tumor nicht mehr operabel ist. Festgestellt wurde die Erkrankung während eines Psychiatrieaufenthaltes. Natürlich sollte die weitergehende Behandlung sorgfältig geplant werden. Aber das fluchtartige Verlassen der Klink machte alles zunichte. Und da meine Betreute zu Bekannten in ein anderes Bundesland zog, war es auch nicht möglich, schnell irgendwelche Hilfen zu beantragen.
Ein Mensch der Geld hat, kann hingehen, wo er will. Ein Mensch, der im Hartz-IV-Bezug steckt, darf das nicht. Die Genehmigung des Umzugs muss in einem langwierigen Verfahren bewilligt werden, die Kostenübernahme für die bei Erkrankung notwendige hauswirtschaftliche Versorgung muss beantragt und bewilligt werden und auch pflegerische Hilfe muss erst beantragt werden. Um am neuen Wohnort eine Kostenbewilligung für Hilfen zu erreichen, muss man erst nachweislich dort gemeldet sein. Für die Meldung benötigt man aber erstmal eine Wohnung. Geeignete Wohnungen kann man oft nur gegen Zahlung einer Courtage finden, aber die wird vom Jobcenter nicht übernommen. Egal wie schwerkrank jemand ist – die Prozedere ist unumgehbar. Eine Betreute, die nicht kooperativ ist und jede Vereinbarung über den Haufen schmeißt, macht es dann vollends unmöglich, dass die so dringend erforderlichen Hilfen organisiert werden können.
Heute kam dann die die überraschende Wende, und meine Betreute kehrte genauso Hals-über-Kopf wieder in ihre Wohnung zurück, wie sie sie vor zwei Monaten verlassen hat. Gott-sei-Dank hat sie auf meinen Rat gehört und die Wohnung doch nicht gekündigt. Jetzt kann ich zwar Anträge stellen, da Meldeadresse und tatsächlicher Aufenthalt übereinstimmt, aber die Situation ist dennoch sehr schwierig, da meine Betreute allein lebt und die Krankheit inzwischen noch weiter fortgeschritten ist. Ich finde zwar schnell einen Pflegedienst für die Verabreichung der unter das Betäubungsmittelgesetz fallenden Medikamente, aber die befinden sich noch in der Wohnung des Bekannten, der die Medikamente trotz Zusage nicht vorbeibringt. Die erforderliche Verordnung für den Pflegedienst muss ich auch erst noch beantragen. Ich verbringe dann meine Zeit damit, ein Fax als Eilantrag aufzusetzen, in dem ich die Schwierigkeit der Situation genau schildere. Außerdem informiere ich schon mal vorab das für die Stellungnahme zuständige Gesundheitsamt. Vielleicht gelingt es mir dadurch, morgen zumindest schon eine mündliche Zusage zu erreichen. Meine Betreute geht nicht ans Handy und ist aufgrund eines Nachsendantrags auch nicht postalisch erreichbar, was die Kommunikation natürlich weiter kompliziert.
Auch wenn eine Betreuung akuten und umfangreichen Handlungsbedarf mit sich bringt, dürfen die anderen Betreuten natürlich nicht vernachlässigt werden. Bei einer Heimbewohnerin beraten die Ärzte, wie der schwere Dekubitus (Wundgeschwür) am Steißbein behandeln werden soll. Eine komplizierte Hautverpflanzung und die Verlegung des Darmausgangs zu Verhinderung bakterieller Infektionen werden ärztlicherseits diskutiert. Da ich die Betreute in die Entscheidung mit einbeziehen will, habe ich sie vor ein paar Tagen aufgesucht und mich eingehend mit ihr und den behandelnden Ärzten unterhalten. Ich spreche auch mit dem Heimpersonal und der behandelnden Hausärztin. Da ich irrtümlich davon ausging, dass beide OPs zusammenhängen, entscheide ich zuerst für ein Nein, weil die Gefahr groß ist, dass die Stelle mit der verpflanzten Haus sich wieder entzündet. Dann sagt mir der Arzt jedoch, dass auch nur eine OP, nämlich die Verlegung des Darmausgangs vorgenommen werden könnte. Ich erreiche den Arzt danach nicht und melde mich am nächsten Tag mit einer positiven Entscheidung. Da hat man aber schon die Entlassung geplant, weil man meine erste Entscheidung als endgültig ansah. Nach vielen Hin- und Hers und Entschuldigungen meinerseits wird dann aber die Entlassung rückgängig gemacht und die OP für die kommende Woche geplant. Und dann ändert die Betreute doch noch ihre Entscheidung und die Operation wird wieder rückgängig gemacht.
Dann ein aufgeregter Anruf einer pädagogischen Betreuerin. Das Sozialamt droht, das schon gezahlte Geld für die über Monate geleistete Eingliederungshilfe zurückzufordern, weil nicht bekannt gegeben wurde, dass die betreffende Betreute umgezogen war und inzwischen mit Freund und Kind zusammen wohnt. Ich hatte der pädagogischen Betreuerin zugesagt, dass ich mich um die Meldung an die Behörde kümmere, es dann aber vergessen. Ich war einige Monate damit beschäftigt, vom Jobcenter ausreichende Leistung zu erwirken, die nicht gewährt wurden, weil bestimmte Urkunde, die erst aus dem Heimatland angefordert werden mussten, fehlten. Erschwert wurde alles noch durch das ausgesprochene unkooperative Verhalten des Freundes. Bei all den Schwierigkeiten habe ich völlig die von mir zugesagte Meldung ans Sozialamt vergessen.
Fehler sind menschlich, aber bei uns Betreuern unentschuldbar. Ich habe sofort alle erforderlichen Unterlagen herausgesucht und ein langes Entschuldigungsschreiben aufgesetzt und alles zusammen persönlich zur Leiterin des Sozialamts bringen lassen. Da die sehr engagierte pädagogische Betreuerin von ihrem Vorgesetzten einen Rüffel erhalten hat, habe ich auch noch deren Chef ein Entschuldigungsschreiben geschickt. Bleibt zu hoffen, dass meine Entschuldigungen angenommen werden. Falls nicht, und dem Träger tatsächlich rückwirkend Gelder gestrichen werden, werde ich mich das erste Mal an meine Berufshaftpflicht wenden.
Aber auch das war heute noch längst nicht alles. Der Sohn einer meiner Betreuten muss als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft Arbeitslosengeld II beantragen, was bedeutet, einen rund zwanzig Seiten umfassenden Antrag auszufüllen und diverse Unterlagen beizufügen. Damit ist der Sohn meiner Betreuten aber überfordert, wie viele andere Antragsteller auch, denn die Anträge sind in striktem Amtsdeutsch verfasst, dass nur von Behördenmitarbeitern verstanden wird. Vor ein paar Tagen habe ich ihm also für anderthalb Stunden beim Ausfüllen der Formulare geholfen, denn wenn er keine Leistungen erhält, betrifft dies nicht nur ihn, sondern auch meine Betreute, die ohnehin mit ihrer kleinen Rente kaum auskommt. Obwohl ich geholfen habe, bekomme ich heute einen Anruf des Sohns, dass noch weitere spezielle Formblätter, die er wieder nicht versteht, ausgefüllt werden müssen. Ich muss also wieder tätig werden, wenn genug Geld für die Bedarfsgemeinschaft vorhanden sein muss.
Einer meiner Betreuten, der schon eine lange Zeit trocken war, hatte einen Rückfall und wartet dringend auf einen Rückruf von mir. Er wurde nach eigenen Aussagen schon nach drei Tagen Entgiftung entlassen. Er wird am Montag wieder seine Arbeit aufnehmen und ich drücke ihm natürlich dabei die Daumen.
Mein Anrufbeantworter leuchtete heute wieder wegen Überfüllung. Ich rufe einen Betreuten zurück, besser gesagt seine Lebensgefährtin und weiß schon vorher, dass ich mir wieder anhören muss, dass ich das Geld nicht richtig einteile. Zum x-ten Mal erkläre ich, dass ich nicht mehr Geld auszahlen kann, als zur Verfügung steht, stoße dabei aber wie immer auf taube Ohren. Ich habe eigentlich keine Lust, immer wieder und wieder die gleichen Erklärungen herunter zu leiern, aber wenn ich das nicht tue, endet dies in einer Beschwerde beim Amtsgericht, auf die ich mit einer Stellungnahme antworten muss. Und da entscheide ich mich dann doch lieber fürs x-te Erklären. Trotzdem droht die Lebensgefährtin – die anscheinend mehr über das Geld meines Betreuten zu sagen hat, als er selbst – mit einer Beschwerde bei der nächsten turnusmäßigen Anhörung.
Ach ja, vor kurzem hat auch wieder der Vater einer meiner Betreuten verbal zugeschlagen, indem er mir zu nächtlicher Zeit Beschimpfungen auf meinem Anrufbeantworter hinterlassen hat. Er droht wieder einmal damit, gegen mich vorzugehen und will dazu jetzt auch über das Internet gehen. Da dieser Mann in der gleichen üblen Weise mit meiner Betreuten umgeht und sich ihr psychischer Zustand mittlerweile immer weiter verschlechtert hat, erwäge ich eine Unterbringung. Meine Betreute ist nicht in der Lage, sich dem Vater zu entziehen und ich habe Angst, dass sich ihr Zustand noch gravierender verschlechtert.
Neben all diesen Vorkommnissen gibt es noch diverse Korrespondenz zu erledigen. Außerdem ist Monatsanfang und die gesamten Konten müssen gebucht werden und es sind auch wieder einige Vermögensabrechnungen und Berichte für das Amtsgericht fällig. Ein Widerspruch gegen die Ablehnung der Kostenübernahme eines Rollstuhls muss aufgesetzt werden. Es steht noch ein gemeinsamer Hausbesuch mit einem Vermieter bei einem Betreuten an, dessen Wohnung so muffelt, dass dies schon auf den Hausflur zu riechen ist. Außerdem muss bei einem anderen Betreuten dringend ein gemeinsames Gespräch mit dem Werkstattleiter stattfinden, denn es droht ein Rausschmiss, weil der Betreute fast nur noch Fehlzeiten hat.
Es ist längst noch nicht alles, was passiert ist und noch erledigt werden muss. Aber jetzt geh ich erstmal ins Wochenende...
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Dateien reduzierenden Bürokratie.
Scheint mir die reale Rolle von
Betreuern im Dickicht der neuen
Inquisition zu sein.
Keine Panik, auf einem sinkenden
Schiff haben auch die Rettungsboote
sicherheitshalber bereits ein Leck.
Die Vertretungsfrage gehört wohl
dringend auf die Agenda 2012.
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