Montag, 27. September 2010, 19:03h
Reiselektüre und Aha-Erlebnis
Habe mir als Urlaubslektüre das Buch „Mein Weg führt nach Tibet“ von Sabriye Tenberken ausgesucht. Die Autorin hat vor mehr als 10 Jahren in Tibet eine Schule für blinde Kinder gegründet. Sabriye Tenberken ist selbst blind.
Das Ungewöhnliche an dem Buch ist der Mut und die Tatkraft der Autorin. Am Anfang gab es einfach nur eine Idee, deren Umsetzung dann in einem Land erfolgte, das – wie viele andere asiatische Länder auch – kaum über soziale Einrichtungen verfügt und dessen Infrastruktur alles andere als hoch entwickelt ist.
Angefangen von dem Bereisen des Landes, um blinde Kinder ausfindig zu machen bis zur Umsetzung der Finanzierung des Projektes hat Sabriye Tenberken alles selbst in die Hand genommen. Während schon die meisten nicht erblindeten Menschen bei der Reise durch ein Land wie Tibet an ihre Grenzen stoßen, hat die Autorin alle Schwierigkeiten mit bewundernswertem Mut und viel Hartnäckigkeit gemeistert – Ritte durch gefährliche Schluchten, Übernachtungen in unwirtlichen Lagern und die Konfrontation mit einer völlig anderen Lebensweise.
Das Projekt drohte kurz vor Erreichen des Zieles zu scheitern, weil sich die Motivation des Kooperationspartners – des Direktors eines Waisenhauses – als reiner Eigennutz entpuppte und außerdem von dem Trägerverein überhaupt keine Unterstützung geleistet wurde, sondern nur Steine in den Weg gelegt wurden. Trotzdem hat Sabriye Tenberken nicht aufgegeben und als alles zu scheitern drohte, in völliger Eigenregie weitergemacht.
Heute gibt es in Tibet nicht nur die Blindenschule, sondern auch eine Ausbildungsstätte für Blinde. Und alles, weil jemand eine Vision hatte und sich von niemandem an der Verwirklichung dieser Vision hindern ließ. Und das ist mein Aha-Erlebnis: soziale Projekte sind selbst trotz größter Widrigkeiten möglich, wenn die Intention nicht durch finanzielles Interesse geprägt ist, sondern allein in dem Anliegen selbst begründet ist. Man kann ein florierendes Restaurant oder ein lukratives Marketingbüro allein aus Geschäftssinn und finanziellem Interesse heraus aufbauen, aber bei pädagogischen oder sozialen Projekten funktioniert dies nicht. Denn wenn Entscheidungskriterien von finanziellen Aspekten bestimmt werden, wird meist nicht im Interesse der Betroffenen entschieden - aber genau das ist bei einem sozialen oder pädagogischen Projekt nun mal unverzichtbar. Und pädagogische oder soziale Ziele decken sich nun mal äußerst selten mit finanziellem Gewinn.
Wir bräuchten viel mehr Menschen wie Sabriye Tenberken. Dann könnte so manches verbessert und erreicht werden. Ich bewundere insbesondere die Art, wie Sabriye Tenberken mit den vielen Rückschlägen umging - ohne eine Spur von Verbitterung hat sie mit dem gleichen Elan weiter gemacht.
Ürigens ist das Buch auch unabhängig von dem Thema der Gründung einer Blindenschule sehr lesenswert und spannend, denn es gibt Einblick in die Welt Tibets und in die Welt der Nicht-Sehenden.
Edit
Möchte noch hinzufügen, dass Sabriye Tenberken doch nicht völlig allein dastand, denn als sie ihr Projekt startete, hat sie Freundschaften geschlossen und auch ihren jetzigen Partner kennen gelernt. Es ist ja eigentlich auch kaum möglich, dass so eine ungewöhnliche Frau nicht irgendwann andere mit ihrer Begeisterung und ihrem Mut ansteckt.
Wie formuliert es doch Mr. Hobbs in Frances Hodsgon-Burnetts „Der kleine Lord“? „Kein Weg ist zu schwer mit einem Freund an der Seite!“
... comment