Samstag, 13. September 2014, 02:41h

Chancengleichheit - haben auch Kinder von Hartz-IV-Empfängern und Geringverdienern die Möglichkeit, gemeinsam mit den Eltern Urlaub zu machen?

behrens

Vor einiger Zeit sagte mir eine Hartz-IV-Empfängerin, wie traurig es sie macht, dass sie niemals mehr die Möglichkeit haben wird zu verreisen. Ihr würde nach eigenen Aussagen schon ein Wochenende an der Ostsee reichen und es wäre für sie überhaupt kein Problem, wenn es ein einfacher Zelturlaub wäre. Aber da sie so schon kaum mit ihrem Geld auskommt, ist selbst eine Wochenendreise illusorisch. Dass sie Hartz-IV-Bezieherin ist, ist übrigens nicht ihr Verschulden. Seit einer verpfuschten Operation hat sie so starke Schmerzzustände und psychische Probleme, dass sie einer Arbeit nicht mehr nachgehen kann. Diese Situation betrifft nicht nur sie allein, sondern auch ihren 15jährigen Sohn, für den durch den Bezug von Hartz-IV ein gemeinsamer Urlaub automatisch auch nicht mehr möglich ist.

Es sei betont, dass es durchaus Angebote für Kinder- und Jugendreisen gibt, die staatlicherseits bezuschusst werden. Hamburg bringt jedes Jahr eine kleine Broschüre heraus, in denen die Angebote kirchlicher oder freier Träger aufgelistet werden. Allerdings können diese Angebote nur von Kindern oder Jugendlichen in Anspruch genommen werden. Was machen aber Eltern, die ihre Kinder nicht allein in die Ferien schicken möchten, sondern die gern den Urlaub gemeinsam verbringen wollen? Falls diese Eltern zu den vielen Geringverdienenden oder zu den Hartz-IV-Empfängern zählen, wird es schwierig.

Gehen wir mal die Möglichkeiten durch: da wäre beispielsweise Campingurlaub. Aber selbst, wenn man davon absieht, dass man fürs Campen ja erstmal ein Zelt haben muss, so unterscheiden sich die Preise auf Campingplätzen schon seit langem nicht mehr von denen für Ferienwohnungen oder Pensionen. Früher war Campen für jeden erschwinglich und ich erinnere mich an Familien, die mit Fahrrad und Minizelt durch die Natur radelten und die sich abends mittels Spirituskocher selbst versorgten. Allerdings gab es damals auf Campingplätzen kaum Komfort, so gab es beispielsweise oftmals lediglich kalte Duschen, nur ein einziges Toilettenhaus, meist auch nur eine einzige Trinkwasserstelle und die heute obligatorischen "Eventangebote" suchte man vergeblich. Dieser erheblich größere Komfort, der beim Campen heutzutage geboten wird hat seinen Preis und der ist für Familien im Hartz-IV-Bezug oder Geringverdienende schlichtweg zu hoch.

Dann gibt es noch die Möglichkeit des Urlaubs in einer Jugendherberge. Aber hier verhält es sich nicht viel anders als bei einem Campingurlaub, denn auch hier ist der Komfort beträchtlich gestiegen. Und genauso beträchtlich sind auch die Preise gestiegen, so dass auch dies bei knappem Budget kaum finanzierbar ist.

Allerdings las ich vor ein paar Tagen erfreut, dass es anscheinend doch staatlich bezuschusste Ferienangebote gibt, die sich nicht nur an Kinder und Jugendliche richten, sondern auch an die gesamte Familie. Und heute wurde mir dann endlich die von mir angeforderte Broschüre „Urlaub mit der Familie“ der Bundesarbeitsgemeinschaft Familienerholung zugeschickt. Beim ersten Durchblättern stutze ich ein wenig, denn da wurden Preisbeispiele genannt, die oftmals im Bereich von 600 bis 900 Euro pro Woche für eine vierköpfige Familie lagen und somit für Geringverdienende kaum finanzierbar sind. Aber da gab es ja glücklicherweise noch das Kapitel „Zuschussregelungen der Bundesländer“, das ich hoffnungsvoll aufschlug. Alle Bundesländer haben verschiedene Zuschussregelungen in verschiedener Höhe und mit verschiedenen Einkommensgrenzen. Und da las ich dann unter der Rubrik Hamburg:

Seit 2011 werden keine Landeszuschüsse mehr für Familienerholungsmaßnahmen zur Verfügung gestellt!

Es tröstet nicht wirklich, dass die Familien aus fünf weiteren Bundesländern* dieses Schicksal teilen. Es gibt zwar eine lange Liste von meist unter kirchlicher Trägerschaft geführten Ferienerholungswerken und Familienferienheimen, aber davon befindet sich der überwiegende Teil in denjenigen Bundesländern, in denen es auch die gesetzlich festgelegten Zuschüsse gibt – für Hamburg ist kein einziges aufgeführt. Die Zuschüsse einzelner Bundesländer werden nur denjenigen gewährt, die auch im betreffenden Bundesland ihren Wohnort haben.

Mit anderen Worten – für hamburger Familien gibt es keine Möglichkeit, gemeinsam Urlaub zu machen.

*Sachsen, Baden Württemberg, NRW, Schleswig-Holstein, Hessen.

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Mittwoch, 27. August 2014, 00:33h

Auf den Punkt gebracht

behrens

Das Problem ist, dass die Politik im Grunde aus dem Patienten einen Kunden machen möchte
Giovanni Maio, Ethikmediziner

Der Ethikmediziner Giovanni Maio äußert sich am Beispiel der Rückenoperation zu der Problematik der Fallpauschale. Diese hat im Zeitraum 2005 - 2013 zu einem sprunghaften Anstieg der durchgeführten Operationen von 327.000 auf 734.000 (!) geführt. Er führt weiter aus:

Ein System, das eine falsche Vorstellung von der Medizin hat. Ein System, bei dem man davon ausgeht, dass es in der Medizin letztlich so zugeht wie in einer Industrie. Je mehr Stücke produziert werden, desto besser. Und das kann man für Dinge zwar sagen, aber nicht wenn es um Menschen geht.

Im Grunde ist dem nichts hinzuzufügen. So wie ich es hier auch schon in Bezug auf den Bereich des Sozialen beschrieben habe, stellt es auch im Bereich der medizinischen Versorgung eine äußerst bedenkliche Entwicklung dar, wenn ökonomische Leitlinien die fachlichen verdrängen.

Sicher – es gab schon zu allen Zeiten das Bestreben gut verdienen zu wollen. Neu ist jedoch, dass man dies der Öffentlichkeit jetzt ungeniert als Verbesserung verkauft, indem man suggeriert, die Orientierung an marktwirtschaftlichen Leitlinien würde mehr Qualität schaffen und folglich der “Kunde” besser gestellt sein als der Patient.

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Samstag, 23. August 2014, 14:45h

Spring doch!

behrens

In diesem Blog habe ich mich schon einige Male mit der Einstellung einiger Betreuer auseinandergesetzt, die in Bezug auf das Thema Suizidalität die Ansicht vertreten: ”Wer sterben will, soll doch sterben!” Eine Einstellung, deren Glaubwürdigkeit sofort heftig ins Wanken kommt, wenn es um Suizidalität innerhalb der eigenen Angehörigen geht, denn dann wird dieser Grundsatz selbstverständlich sofort verworfen und stattdessen wird laut nach Hilfe all jener gerufen, die ansonsten als unprofessionell und die Selbstbestimmung missachtend abqualifiziert werden.

Ich greife dieses Thema jetzt anlässlich des Todes von Robin Williams nochmals auf, denn während der überwiegende Teil der Öffentlichkeit mit Betroffenheit auf den Selbstmord reagierte, gibt es durchaus auch andere Reaktionen. Zum Beispiel die des Kiss-Bassisten Gene Simmons: „Ich würde rufen: „Spring!“, wenn jemand auf dem Dach eines Wolkenkratzers steht und ihn fragen, warum er ankündigt zu springen.“ „Halt die Fucking Klappe und mach es schon. Die Menschheit wartet.

Simmons Eltern haben den Holocaust überlebt und trotz der Tatsache, dass die gesamte übrige Familie im Konzentrationslager umkam, würde seine Mutter – so Simmons – „jeden Tag auf Erden lieben.“

Es verwundert mich immer wieder, wie einfach das Weltbild mancher Menschen strukturiert ist. Ein Weltbild, demzufolge klar und ausnahmslos definiert ist, wer einen Grund zur Klage hat und wer eben nicht. Wer keinen Krieg, keine Bombenattentate, keine Umweltkatastrophen und keine Folter am eigenen Leib erlebt hat, hat gefälligst gut drauf zu sein. Und sollte dies nicht zutreffen – dann soll derjenige sich gefälligst die Kugel geben oder vom Hochhaus springen. Aber bitte schön leise und ohne Gejammer – denn dadurch fühlen sich Menschen wie Simmons offensichtlich in ihrem Wohlbefinden beeinträchtigt.

Schwer zu sagen, wodurch jemand zu so einer menschenverachtenden Einstellung gekommen ist. Vielleicht kann man sich es als Heavy Metall Bassist einfach nicht leisten, differenzierte und mitfühlende Ansichten zu vertreten, zumal das Männlichkeitsideal in dieser Szene ja ein anachronistisches ist, das jeder gesellschaftlichen Veränderung zum Trotz im Mittelalter stecken geblieben ist und sich hartnäckig jeder Weiterentwicklung verweigert.

Aber ehe man jetzt in eine Diskussion um das Für und Wider der Einstellung des „Spring-doch!“ eintritt, sollte man sich einfach die Gretchenfrage stellen, ob Gene Simmons wohl auch mit der gleichen Vehemenz sein „Spring doch!“ brüllen würde, wenn Töchterchen Sophie oder Sohnemann Nicholas auf dem Fenstersims eines Hochhauses herum balancieren würden. Nein – mit hundertprozentiger Sicherheit würde dann selbst ein richtiger Kerl wie Gene Simmons Rotz und Wasser heulen und dankbar für jeden Psychologen oder Polizisten sein, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, dies zu verhindern.

Simmons Familie fiel im Dritten Reich der grausamen Einteilung in Menschen und Untermenschen zum Opfer. Eine Selektion, derzufolge nur das Leben derjenigen als lebenswert angesehen wurde, die man als zur eigenen Volksgruppe gehörig erklärte. Es ist traurig, dass gerade der Nachkomme einer Hinterbliebenen des Holocaust genau diese Einstellung weiterleben lässt. Man mag jetzt als mildernden Umstand anführen, dass Menschen wie Simmons oder wie manche Betreuer sich höchstwahrscheinlich noch keine Gedanken darüber gemacht haben, wie es wäre, wenn jemand aus dem Kreise der eigenen Angehörigen sich das Leben nehmen würde. Aber genau das ist es, was die Ignoranz jener Menschen ausmacht – sich grundsätzlich erst dann für ein Problem zu interessieren, wenn man selbst davon betroffen ist. Bei dem Bassisten einer Heavy Metall Band mag diese Ignoranz noch hinnehmbar sein – bei einem Betreuer ist sie äußert bedenklich.

Warum ich hier schon wiederholt zu dem gleichen Thema geschrieben habe? Weil es um Menschenleben geht. Und die sollten es wert sein, sich zu wiederholen! Und weil meiner Meinung nach Angehörige ein Anrecht darauf haben sollten, dass ihre betreuten Familienmitglieder mit der gleichen Wertschätzung behandelt werden, mit der ein Betreuer auch seine eigenen Angehörigen behandelt.

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