Dienstag, 4. Februar 2014, 17:18h
Abschluss - Rückblick - Ausblick
Die Abgabe der letzten Betreuung liegt schon Monate zurück, aber da mein ehemaliges Büro erst vor kurzem vollständig aufgelöst wurde, ist erst jetzt der eigentliche Abschluss vollzogen. Es gab jede Menge Altakten, die ich privat oder in meinem Keller untergebracht habe und jede Menge Dinge, die entsorgt werden mussten.
Unvermeidbar, dass dabei Erinnerungen an die Arbeit der vergangenen Jahre geweckt werden. Die sechzehn Jahre Betreuungsarbeit ermöglichten mir einen tiefen Einblick in das Leben anderer und ich wurde mit nahezu allen Problemlagen konfrontiert, in die Menschen geraten können. Bei manchen meiner Betreuten lag der Grund für die Erfordernis einer Betreuung in den Spätfolgen, die durch schwere Traumatisierungen infolge von Misshandlung oder Missbrauch entstanden. Viele meiner Betreuten haben noch den Krieg miterlebt (in Ausnahmefällen sogar noch beide Kriege) und dabei Hunger und Entbehrung erlitten und einige haben ihre Familie, ihre Gesundheit, ihre gesamte Habe oder ihre Heimat verloren.
Meine Arbeit hat mich sowohl mit dem Leid konfrontiert, das durch Krankheit oder Alter entstehen kann, als auch mit dem Leid, das durch Armut entsteht, wobei die Wechselbeziehung zwischen beiden offensichtlich ist. Auf der einen Seite führt Alter und Krankheit oftmals zur Verarmung und auf der anderen Seite begünstigt Armut das Entstehen von Erkrankungen und kann die mit dem Alter verbundenen Einschränkungen sowie den Alterungsprozess an sich verstärken.
Nicht verschweigen möchte ich, dass es auch unter den Betreuten Menschen mit einer kaum vorstellbaren Anspruchshaltung gibt, denen jegliches Sozialverhalten fehlt. Betreute, die auch kleinstes Eigenbemühen empört verweigern und die trotz der Tatsache, selbst noch nie etwas für andere getan zu haben, ein Optimum an Einsatz anderer erwarten. Die Mitarbeiter des Pflegedienstes und die Betreuer werden meist nur als Handlanger angesehen, die beliebig kommandiert und beleidigt werden dürfen.
Durch meine Arbeit wurde ich nicht nur mit meinen Betreuten, sondern meist auch mit deren Angehörigen konfrontiert. Dadurch konnte ich einen hautnahen Einblick darin erhalten, wie eine psychische oder dementielle Erkrankung Angehörige an den Rand der Belastbarkeit bringen kann. Auf der anderen Seite habe ich auch miterlebt, wie Angehörige Entscheidungen ausschließlich vom eigenen finanziellen Vorteil abhängig machen und es mitunter sogar zu skrupellosen Bereicherungen kommt. Eine überraschende Erfahrung war für mich der Umstand, dass häufig gerade jene Angehörigen zu einer großen Anspruchshaltung und ungerechtfertigten Vorwürfen neigen, die sich der Verantwortung für ihre Verwandten entzogen haben, während die sich kümmernden und engagierten Angehörigen dankbar für die Unterstützung des Betreuers sind und sich die Zusammenarbeit oftmals kooperativ und konstruktiv gestaltete.
In der Betreuungsarbeit wurde ich Zeuge einer gesellschaftlichen Entwicklung, die sich darin äußert, dass immer mehr Menschen ihre Fähigkeit verlieren, den Alltag ohne fremde Hilfe zu bewältigen, wodurch die Abhängigkeit von der Unterstützung professioneller Helfer besorgniserregend zunimmt. Während die älteren meiner Betreuten es nicht selten schafften, trotz einer äußerst geringen Rente Ersparnisse anzulegen, so ist die Fähigkeit der Geldeinteilung bei vielen jüngeren gänzlich verschwunden und es muss wie bei kleinen Kindern eine Taschengeldeinteilung vorgenommen werden, damit Miete gezahlt wird und Geld für Lebensmittel vorhanden ist. Eine Generation ist herangewachsen, die zwar virtuos mit Computer, Smartphone etc umgeht, die aber nicht mehr in der Lage ist, dafür zu sorgen, dass am nächsten Tag noch etwas zu Essen im Kühlschrank ist.
Die schmerzhafteste Erfahrung in meiner Arbeit war (und ist es auch immer noch), dass ich mitansehen musste, wie viele Betreute trotz eines harten und arbeitsamen Lebens ihren Lebensabend in Armut und sozialer Isolation verbringen müssen. Diese Betreuten hatten zuvor meist nie etwas mit Behörden zu tun und sind daher mit dem Procedere des Kampfes um das Geld völlig überfordert, den sie zudem als Demütigung empfinden. Auch ich in meiner Funktion als rechtliche Betreuerin habe leider oftmals viel weniger ändern können, als ich mir gewünscht hätte.
Genauso vielfältig, wie meine Erfahrungen mit den Betreuten sind, so sind auch die Erfahrungen mit den Kollegen. Das Spektrum reicht vom Betreuer mit einer Betreuungszahl von maximal 25 bis hin zum Betreuer mit einer Betreuungszahl von 160, die möglichst noch gesteigert werden soll. Jurastudium, Sozialpädagogikstudium, kaufmännische Ausbildung oder andere Studiums/Lehrabschlüsse – alles ist unter den Kollegen vertreten. Der eigentliche Unterschied zwischen den Betreuern besteht allerdings nicht in der Ausbildung oder in der Betreuungszahl, sondern in den Prioritäten. Es gibt Betreuer, deren Fokus die optimale Lebensgestaltung des Betreuten ist und es gibt Betreuer, deren Fokus auf Gewinnmaximierung liegt. Auf der einen Seite gibt es Betreuer, für die respektvoller und empathischer Umgang mit den Betreuten selbstverständlich ist und die regelmäßig an Supervision teilnehmen um sich kritisch mit ihrem Handeln auseinanderzusetzen. Auf der anderen Seite gibt es Betreuer, die rigoros jede Kritik an ihrem Handeln verbieten und leider ist es keine Übertreibung, dass bei einigen von ihnen das Auftreten zeitweilig an das eines Obersturmführers erinnert.
Ich habe in diesem Blog ja schon oft darüber geschrieben, welche Blüten die Fixierung auf Gewinnmaximierung treibt. Hohe Betreuungszahlen sind zwangsläufig mit Zeiteinsparung verbunden und diese wiederum geht zu Lasten der Individualität in der Betreuungsarbeit. Die darüber hinausgehenden Folgen sind jedoch noch tiefgehender: ein respektvoller Umgang mit den Betreuten und den Angehörigen sowie den involvierten Mitarbeitern der sozialen Einrichtungen ist bei hohen Betreuungszahlen kaum noch möglich. Das gleiche gilt für einen demokratischen Führungsstil, der zwangsläufig durch einen weniger zeitintensiven autoritären ersetzt wird.
Wenn ich abgesehen von dieser allgemeinen Beurteilung nochmals meine ganz individuellen Erfahrungen während meiner Zeit als Betreuerin Revue passieren lasse, dann schockieren mich nicht so sehr die grenzwertigen Praktiken oder konkreter Betrug, von dem ich durch meine Arbeit erfahren habe, sondern die darauf erfolgte Reaktion der Kollegen. Die kann man eigentlich nur mit einer konsequenten Nicht-Reaktion beschreiben. Auch in anderen Arbeits- und Berufsfeldern kommen Unregelmäßigkeiten vor, aber an meinen früheren sozialpädagogischen Arbeitsplätzen wäre es undenkbar, dass die Kollegschaft geschlossen den Mund hält, wenn Klienten übervorteilt werden. Wobei es ein interessantes Phänomen ist, dass die Kollegschaft und auch die Mitarbeiter des Gerichts durchaus Kritik an der Arbeitspraxis einiger Kollegen äußern – nur eben grundsätzlich in deren Abwesenheit und immer ohne wirkliche Konsequenzen.
Damit wären wir bei einem zentralen Punkt, der schon längst kritisch hinterfragt hätte werden müssen. Dieser Punkt ist die Freiberuflichkeit der rechtlichen Betreuer. Der frühere Fachreferent der Betreuungsbehörde – selbst zuvor als Betreuer tätig – hat mir einmal ohne Umschweife gesagt, dass er dafür plädiert, rechtliche Betreuer in die Behörde oder in freie Träger einzubinden. Ein Arzt, der aufgrund seiner Gutachtertätigkeit sehr viel mit Betreuungen zu tun hat, sagte mir genau das gleiche und auch ich würde eine Diskussion dieses Vorschlags begrüßen. Eine Einbindung in behördliche oder freie Träger wäre der Rahmen, in dem berechtigte Kritik nicht mehr einfach verhallen, sondern Konsequenzen mit sich bringen würde. Verbindliche Arbeitsrichtlinien und Vorschriften, die durch unmittelbare Vorgesetzte kontrolliert werden, schaffen Strukturen, in denen sowohl die Auseinandersetzung mit Kritik verbindlich ist, als auch die Einhaltung und Kontrolle der Arbeitsqualität. Das freiberufliche Prinzip der Konkurrenz würde ersetzt werden durch kollegiale Vernetzung, die sowohl den Vorteil des Informationsaustausches und der Möglichkeit gezielter Aktionen als auch den der sozialen Kontrolle mit sich brächte. Last-not-least würde sich der Schwerpunkt kaufmännischer Aspekte auf sozialpolitische Aspekte verlagern – für die Betreuten der eigentliche Pluspunkt.
Ein weiterer Vorteil einer Einbindung in eine Behörde oder eine soziale Einrichtung wäre eine qualifizierte Öffentlichkeitsarbeit, die aus fundierter Information und nicht aus kaufmännischen Werbephrasen besteht, denn ein nicht unerheblicher Teil der Unzufriedenheit mit rechtlichen Betreuern besteht aus falschen Erwartungen und Unkenntnis der tatsächlichen Aufgabenstellungen. Websites, in denen sich Betreuer als hochqualifiziert und engagiert bezeichnen, erweisen dem Ansehen rechtlicher Betreuer keinen guten Dienst, zumal bezeichnenderweise gerade diejenigen Betreuer mit positiven Attributen für sich werben, deren konkrete Arbeitspraxis oftmals eher negativ beurteilt wird. Informative Öffentlichkeitsarbeit wäre wegbereitend für den Dialog mit der Öffentlichkeit – und dies wäre wiederum ein Schritt hin zur Verwirklichung des eigentlichen Ziels des Reformgedanken des Betreuungsrechts – mehr Demokratie!
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Montag, 3. Februar 2014, 02:19h
Ein krönender Abschluss durch eine Stiftung – der späte Gesinnungswandel des Michael-Corleone-Prinzips
Manche lügen schon beim Denken.
Hans-Horst Skupy
Wahrscheinlich kennen die meisten Francis Ford Coppolas Trilogie „Der Pate“. Während es bei den beiden ersten Teilen um die Darstellung des Aufstiegs eines Mafia-Clans geht, geht es im dritten Teil um das genaue Gegenteil, nämlich um einen Ausstieg und den Versuch einer Kehrtwende hin zur gesellschaftlichen Anerkennung. Diese Wandlung setzt bezeichnenderweise erst ein, nachdem alles, was man erreichen kann, auch erreicht ist – keine Minute eher. Die Karriere, in der es bisher ausschließlich um die eigene Person ging, erhält den krönenden Abschluss durch die Gründung einer gemeinnützigen Stiftung. Altruismus statt Egoismus heißt die neue Devise.
Mir gefällt gerade der dritte Teil der Trilogie deswegen so gut, weil dessen Thema längst nicht nur die Gefilde der großen Kriminalität und der Kapitalverbrechen betrifft, sondern auch die ganz normale Geschäftswelt. Dort, wo es ohne Rücksicht auf Verluste um Profit um jeden Preis geht, aber immer gekonnt an den Grenzen der Straffälligkeit vorbeijongliert wird. Dort, wo die Möglichkeiten des Gewinns grundsätzlich bis zur Schmerzgrenze ausgereizt werden und andere Menschen immer nur Mittel zum Zweck sind.
Jetzt könnte man einwerfen, dass Kapitalverbrechen nicht so einfach mit Gewinnsucht gleichgesetzt werden kann, schließlich sind die Auswirkungen der organisierten Kriminalität ungleich schlimmer als die des Profitstrebens, selbst wenn dieses noch so extrem ist. Das mag auch zutreffen, aber man vergisst bei dieser Argumentation, dass beide Bereiche diese Gesellschaft schädigen und beide fast immer auf dem Rücken der Schwächsten ausgetragen werden. Was die Wandlung zum Altruisten betrifft, um die es in diesem Beitrag geht, so ist es sowohl für den Bereich der Kriminalität als auch für die Grauzone des reinen Profitstrebens gleichermaßen bezeichnend, dass bei diesem Typus die Wandlung erst eintritt, nachdem weitaus mehr angehäuft wurde, als überhaupt jemals verbraucht werden könnte und das Abgeben somit überhaupt nicht mehr ins Gewicht fällt. Beiden Fällen ist die Haltung gemeinsam des „Schaut her! Ich habe es nicht nur zu etwas gebracht, ich tue der Gesellschaft dabei auch noch etwas Gutes!" Während diese Gesinnungswandler einen derartigen Umschwung bei anderen sofort spöttelnd als inszenierten Selbstbetrug erkennen würden, unterliegen sie im Hinblick auf sich selbst einer bemerkenswerten Selbsttäuschung und scheinen tatsächlich der festen Überzeugung zu sein, die Gesellschaft durch ihr Dasein zu bereichern.
Eine Stiftung, deren Gelder durch Kriminalität oder durch auf Ellbogenmentalität beruhenden grenzwertigen Praktiken verdient wurden, entbehrt jeglicher Glaubwürdigkeit, denn das Motiv für die Kehrtwende zum Altruismus besteht nicht in der guten Absicht als solche, sondern lediglich in dem Wunsch nach einer positiven Außenwirkung, die das bisherige Handeln vergessen lässt und somit die Funktion einer Art Absolution erfüllt. Daran ändert auch das Argument nichts, eine Kehrtwende sei doch immerhin besser, als wenn so wie bisher weitergemacht werden würde. Dies ist ein Trugschluss, denn es kommt nicht darauf an, irgendwann in ferner Zukunft ein lobenswertes Ziel zu erreichen, sondern es ist entscheidend, auf welche Weise dieses Ziel erreicht wird. Auf dem langen Weg zum „Irgendwann“ kann nämlich sehr viel Schaden angerichtet werden und dies kann empfindlich lange dauern für all diejenigen, die auf dieser Wegstrecke als Mittel zum Zweck missbraucht wurden. So etwas wird nicht einfach dadurch ungeschehen gemacht, dass von viel zusammengerafftem Überfluss ein kleines bisschen abgegeben wird.
Und ehe ich jetzt auf den konkreten Bezug eingehe, der mich zu diesem Beitrag bewegt hat (den gibt es nämlich…) schließe ich mit dem weisen Kommentar, mit dem Michael Corleones Ex-Frau May auf die feierliche Huldigung der Stiftungsgründung reagiert. Im Gegensatz zu der Begeisterung der anderen Teilnehmer lautet ihre Bemerkung lapidar: „Es ist unerträglich!“
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Montag, 6. Januar 2014, 02:11h
Der Stoff, aus dem Gewalt ist
Die Schwierigkeit in der Auseinandersetzung mit dem Thema Gewalt als politische Aktion besteht in dem Umstand, dass Gewalt per se schon die Ablehnung von Auseinander- setzungen beinhaltet. Gewalt bezieht ihre Existenz aus dem Schwarzweißdenken und Differenzierung jeglicher Art ist ihr verhasst oder zumindest fremd. Dies hat die fatale Folge, dass Ablehnung von Gewalt gleichgesetzt wird mit der Leugnung der Missstände, gegen die sich die Gewalt wendet. Dieser Logik zufolge werden unterschiedslos all jene, die Gewalt als Mittel zur Behebung gegen gesellschaftliche Missständen ablehnen, sofort denjenigen zugeordnet, die die Missstände bestreiten.
Ich spreche von den Auseinandersetzungen um die Rote Flora, ein autonomes Zentrum in einem Hamburger Stadtteil, das verkauft werden soll. Die Gewalttätigkeit der Aktionen gegen den Verkauf hat erheblich zugenommen. Es gibt sehr gute Gründe für die Ablehnung des geplanten Verkaufs, der nicht auf die Situation der in dem Stadtteil lebenden Menschen ausgerichtet ist, sondern in erster Linie auf kommerzielle Interessen. Zu oft hat man es erlebt, wie Städteplanung Menschen regelrecht aus ihren Stadtteilen vertreibt und es gibt diverse Beispiele dafür, wie man an den Interessen von Menschen vorbeiplant und dadurch die soziale Kluft weiter vergrößert.
Die Diskussion um Gewalt zur Durchsetzung politischer Forderungen ist vom Grundsatz her nicht auf die Rote Flora begrenzt – es könnte sich genauso gut auch um Hausbesetzungen, Atomkraftwerke oder Aufrüstung handeln. Worum es im Wesentlichen geht, ist die Frage, mit welchen Mitteln für oder gegen etwas gekämpft werden soll. Und dabei kommt es dann zu dem genannten Dilemma, dass es kaum möglich ist, Gewalt abzulehnen ohne dabei sofort als Befürworter der Gegenseite eingestuft zu werden und dadurch grundsätzlich als diskussionsunwürdig zu gelten. Ein bisschen scheint dies übrigens auch ein typisch deutsches Problem zu sein, unter den Ausländern meines Bekanntenkreises geht es bei dieser Thematik meist weniger polarisierend zu.
Ich habe gerade einen Artikel über die Kriegseuphorie unter den deutschen Intellektuellen zu Beginn des ersten Weltkriegs gelesen und manches ist der Thematik der Gewaltaktionen durchaus ähnlich. Es ist die Überzeugung des "Wir sind die Guten“, die den Soldaten mit dem Revolutionär oder dem Straßenkämpfer eint. Eine Überzeugung, die von Schuld- oder Reuegefühlen befreit, denn schließlich setzt man sich für etwas ein, das für alle gut ist und bekämpft somit das Böse. Menschen, die auf Gewalt als Mittel der Auseinandersetzung setzen sind grundsätzlich davon überzeugt, im Recht zu sein und fühlen sich berufen, der Gerechtigkeit mit Gewalt Nachdruck zu verleihen. Das Tragische daran ist, dass durch die Legitimierung jeglicher Form von Gewalt dem Gegner das Menschsein abgesprochen wird.
„Es gibt keinen Weg zum Frieden, der Friede ist der Weg“ formulierte Mahatma Gandhi. Dieser Ansicht folgend kann man nur zu dem Schluss kommen, dass der konkrete Weg das Entscheidende ist und nicht das in ferner Zukunft liegende Ziel. Gewalt als Mittel zur Auseinandersetzung ist Selbstzweck. Vielleicht erinnert sich mancher an das Foto von Joschka Fischer, das vor einigen Jahren durch die Presse wanderte und ihn bei einer Straßenschlacht auf einen Polizisten einprügelnd zeigt. Nun, inzwischen hat sich vieles geändert und Herr Fischer schlägt nicht mehr auf Polizisten ein, sondern arbeitet unter anderem als Unternehmensberater für Firmen, deren Ziele nicht gerade auf das Allgemeinwohl ausgerichtet sind und weit entfernt liegen von dem, was Herr Fischer früher einmal anstrebte. Oder sehen wir uns Horst Mahler an, der früher aus voller Überzeugung die RAF vertrat und mittlerweile ganz rechtsaußen steht. Oder erinnern wir uns an die Entebbe-Entführung, die sich nur gegen jüdische Passagiere richtete. Die Entführer kamen nicht aus dem rechten Umfeld, sondern aus den revolutionären Zellen. Eben jene Organisation die für sich in Anspruch nahm, die Verantwortlichen für die Greueltaten des zweiten Weltkriegs zur Rechenschaft zu ziehen.
Aber man muss gar nicht prominente Beispiele zitieren, oftmals finden sich auch schon im eigenen Bekanntenkreis Menschen, deren vorgeblich auf Gerechtigkeitssinn basierende Gewaltbejahung sich später als reiner Selbstzweck entpuppt. Ein früherer Bekannter von mir hat Gewalt gegen die Staatsmacht vehement damit gerechtfertigt, dass der Staat sich nur für die Wohlhabenden einsetzt und seine Verpflichtung gegenüber den sozial Schwachen gänzlich vernachlässigt. Mit den eigenen Verpflichtungen nahm es der Betreffende allerdings nicht so genau; er hatte noch nie einen Cent Unterhalt für sein Kind gezahlt, geschweige denn die Mutter seines Kindes in der Erziehung unterstützt. Auch der Kollegenkreis ist nicht frei von jenem Typus. „Ich war kurz davor, mir eine Waffe zu nehmen und zur RAF zu gehen“, sagte mir ein Kollege, der dies dann allerdings doch nicht tat, sondern stattdessen lieber Betreuer wurde. Das eigentlich Interessante an dieser Wandlung ist, dass aus jemanden, der einst den Staat mit Gewalt bekämpfen wollte, jemand geworden ist, der mittlerweile bei Konflikten eben jene einst so verhasste Staatsmacht zur Hilfe ruft, indem er selbst bei Lappalien die Polizei einschaltet und bei dem leisesten Anflug von Kritik rechtliche Schritte androht. Dies Verhalten wird durch ein autoritäres Auftreten abgerundet, mit dem derjenige jeden Feldwebel in den Schatten stellt.
Resümee meiner Erfahrungen mit gewaltbereiten Menschen ist, dass Gewalt keinen anderen Grund hat als Lust an Gewalt und Macht. Alle anderen Auslegungen sind Augenwischerei. Auch wenn das Argument der Wirkungslosigkeit friedlichen Widerstands oftmals schmerzhafte Realität ist und mancher Amoklauf als Reaktion auf soziale Missstände allzu nachvollziehbar scheint – es ist durch nichts zu rechtfertigen, einem Menschen das Gesicht mit einem Stein zu zertrümmern. Derartige Aktionen sind Ausdruck einer tiefen Menschenverachtung und werden nichts anderes bewirken als eine Eskalation der Gewalt, die letztendlich auch völlig Unbeteiligte ausbaden müssen.
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