Samstag, 9. November 2013, 12:53h

Randnotizen - Jugendliche und Schulden

behrens

Laut Schuldenatlas 2013 der Creditreform Wirtschaftsforschung hat die Zahl der stark verschuldeten Jugendlichen unter 20 Jahren seit 2004 um 302 (!) Prozent zugenommen. Die Schulden belaufen sich oftmals auf dreistellige Summen. Grund ist der Umstand, dass Jugendliche oft Verträge bei mehreren Anbietern und für Freunde abschließen.


Eine Steigerung um sagenhafte 302 Prozent – und ich bin mir sicher, dass diese Zahl noch weiter steigen wird. Jedes neue smartphone wird in den Medien euphorisch angekündigt und oftmals stehen die Jugendlichen schon nachts Schlange vor den Elektronikgeschäften um zu den ersten zu gehören, die das begehrte Objekt ergattern. Der Besitz eines solchen scheint die durch Schulden zwangsläufig entstehende Abhängigkeit wieder aufzuwiegen.

Auch wenn es bitter klingt - Verschuldung stellt für den Bereich der Sozialarbeit einen arbeitsmarktstabilisierenden Faktor dar, da viele Betroffene ihre Situation nicht mehr ohne Hilfe von Dritten bewältigen können.

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Dienstag, 5. November 2013, 16:20h

Standesdünkel – Seelenverwandter des Rassismus

behrens

Schon seit längerem schiebe ich es vor mich her, etwas über die Gemeinsamkeiten von Standesdünkel und Rassismus zu schreiben. Was mich zögern ließ, ist der Umstand, dass der Begriff des Rassismus mittlerweile äußerst inflationär benutzt wird, wodurch dieser Begriff so verwässert wurde, dass es schwierig ist, ihn einem Vergleich zu unterziehen. Ist es also überhaupt möglich, auf der einen Seite Kritik an der undifferenzierten Verwendung des Begriff Rassismus zu üben und auf der anderen Seite diesen Begriff einer vergleichenden Betrachtung zu unterziehen? Ja, ich glaube, dass das eine dem anderen nicht widerspricht, denn es stellt einen erheblichen Unterschied dar, ob auf jegliches Problem im Zusammenleben verschiedener Kulturen mit dem Vorwurf des Rassismus reagiert wird oder ob man die diskriminierenden Merkmale des Rassismus anderen gesellschaftlichen Diskriminierungen vergleichend gegenüberstellt. Und obwohl momentan oftmals eine wirkliche Auseinandersetzung von vorneherein durch den Vorwurf des Rassismus verhindert wird, ist es unbestreitbar, dass es nach wie vor die rassistische Einstellung gibt, derzufolge Menschen aufgrund von körperlichen Merkmalen auf psychosoziale Eigenschaften festgelegt und abgewertet werden. Eine Einstellung, die schon immer jeglicher wissenschaftlicher Grundlage entbehrt hat und einzig und allein der Legitimation von Herrschaftsverhältnissen dient.

Was eben nicht mit Rassismus gleichgesetzt werden darf, ist die Tatsache, dass es natürlich kulturelle Unterschiede gibt, die vielfache Auswirkungen im gesellschaftlichen Miteinander haben und die oftmals ein erhebliches Konfliktpotential darstellen. Wie gesagt – die pauschalierende und undifferenzierte Gleichsetzung jeglicher Kritik mit Rassismus macht es nicht gerade leicht, sich dem Thema der gemeinsamen Wurzel von Rassismus und Standesdünkel zu widmen. Ich will es trotzdem versuchen.

Rassismus bewegt sich immer zwischen den beiden Polen der Herabwürdigung anderer und der Überhöhung der eigenen Person und steht für eine Weltsicht, die nie den Menschen an erster Stelle sieht, sondern nur dessen fragwürdige Zuordnung zu einer bestimmten Gruppe. Rassismus lebt vom Festhalten an vermeintlichen Unterschieden und ist nicht ohne die Ideologie des hartnäckig verteidigten Rechts auf Privilegien denkbar. Und genau dies macht seine Seelenverwandtschaft zum Standesdünkel deutlich. Während Zuordnungen zu vermeintlichen Rassen ein theoretisches Konstrukt sind, stellt die Beanspruchung von Privilegien dessen praktische Umsetzung dar. Darin besteht das Bindeglied zum Standesdünkel. Was Rassismus und Standesdünkel gemein ist, ist das Messen mit zweierlei Maßstäben.

Während ich früher der Meinung war, Standesdünkel findet man in erster Linie in aristokratischen Familien oder in den Chefetagen von Konzernen und Banken, so wurde ich längst eines besseren belehrt, denn auch andere Bereiche sind davon infiziert und leider ist auch der Bereich sozialer Arbeit nicht frei davon. Letzteres ist besonders tragisch, denn das Kennzeichnende einer Tätigkeit in sozialen Arbeitsfeldern ist ja gerade die Unterstützung von gesellschaftlich Benachteiligten und die Grundlage ist Solidarität und nicht Distanzierung. Soziale Arbeit darf und kann nur im Rahmen der humanistischen Maxime der Gleichheit ausgeführt werden und ist daher weder mit rassistischen Einstellungen noch mit Standesdünkel vereinbar. Und daraus folgt zwingend auch die Unvereinbarkeit mit dem vermeintlichen Recht auf Privilegien.

Und genauso wenig wie ein humanistischer Ansatz mit dem Anspruch auf Privilegien vereinbar ist, genauso wenig ist ein humanistischer Ansatz vereinbar mit der äußerst zweifelhaften Ideologie der Unterschiede der Bedürftigkeit. Um dies an einem Beispiel zu veranschaulichen: wenn sich ein Betreuer in steter Regelmäßigkeit über sein zu geringes Einkommen und die zu geringe Altersversorgung beschwert, obwohl sein Einkommen ausreichend ist für den alle 2 bis 3 Jahre erfolgenden Erwerb einer neuen Immobilie, so ist es völlig unverständlich, dass gerade dieser Betreuer Menschen Anspruchsdenken vorwirft, die ihren Altersabend nach einem Leben harter Arbeit nicht mit 100,00 € Taschengeld fristen wollen. Verständnis werden dafür nur diejenigen aufbringen, die das Recht auf Privilegien vertreten, also all jene, in deren fragwürdiger Weltsicht es je nach Herkunft, Berufsgruppe oder Rasse zwingend Unterschiede geben muss.

Ein weiteres Beispiel für diese zweifelhafte Haltung stellt jemand dar, der Meinung vertritt, dass eine sogenannte „hochqualifizierte“ Arbeit mehr wert ist als eine mit weniger Qualifikation verbundene Arbeit und der folglich mit strikter Selbstverständlichkeit auf Privilegien besteht, die er anderen auf keinen Fall zugestanden wissen will. Wie bereits erwähnt – in Chefetagen verwundert so eine Einstellung nicht, im Bereich der sozialen Arbeit stellt dies jedoch ein Armutszeugnis da. Die Sichtweise, derzufolge Arbeit zwingend in hochwertig und minderwertig eingeteilt werden muss, befindet sich in gefährlicher Nähe zu einer Einstellung, aufgrund der nicht nur die Arbeit, sondern auch die Menschen als solche in hochwertig und minderwertig eingeteilt werden.

Standesdünkel bezieht sich natürlich nicht nur auf den beruflichen Lebensbereich, sondern auch auf den familiären und auch hier gilt, dass es jeglichen humanistischen Grundsätzen widerspricht, wenn für die eigenen Angehörigen vehement Bedingungen eingefordert werden, die man bei anderen als grundsätzlich verzichtbar einstuft. Um jeden Preis eine gute Schulausbildung für das eigene Kind anzustreben, aber völlig gleichgültig gegenüber den Ausbildungsmöglichkeiten des restlichen Teils der Gesellschaft zu sein – das ist eine Einstellung wie sie in der Kolonialherrschaft bestand, in der man Menschen in zwei Klassen einteilte und Rechte für die Einheimischen als völlig überflüssig einstufte. Dabei wird deutlich, dass die Problematik des Standesdünkels sich nicht nur auf die Fragen des Zugangs zu gesellschaftlichen Möglichkeiten beschränkt, sondern auch immer mit einem Defizit an zwischenmenschlichen Respekt verbunden ist.

Man könnte noch etliche Beispiele anführen und ich habe dieses Thema ja auch schon in früheren Beiträgen des Öfteren angeschnitten. Worauf es mir in diesem Beitrag ankommt, ist die Verdeutlichung der Menschenverächtlichkeit des Standesdünkels und der damit verbundenen verheerenden gesellschaftlichen Auswirkungen, wobei ich deutlich machen möchte, dass diese Auswirkungen denen des Rassismus in keiner Weise nachstehen. Erst wenn man zur Kenntnis nimmt, dass Standesdünkel die gleiche Gefahr wie Rassismus beinhaltet, wird man in der Lage sein, ihm auch genauso entschieden zu begegnen.

Man mag zu Bedenken geben, dass Standesdünkel im Gegensatz zum Rassismus nicht zu Vernichtungslagern und Versklavung führt und deswegen harmloser ist. Dabei wird allerdings ausgeblendet, wie gefährlich die soziale Verelendung inzwischen vorangeschritten ist und welch ein Gewaltpotential dadurch entsteht. Ein Gewaltpotential, das durch Strukturen bedingt wird, die ethische Grundsätze auf den eigenen beruflichen oder familiären Gesellschaftsstand beschränken.

Für mich stellt es einen erschreckenden Umstand dar, dass die mühsam erkämpften Grundsätze der Gleichheit und der Menschenwürde nicht nur in der Geschäftswelt verloren gegangen sind, sondern mittlerweile auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen und letztendlich auch der Bereich der sozialen Arbeit nicht davon verschont blieb. Bisher war soziale Arbeit noch ein Refugium, dem zwar wie in anderen gesellschaftlichen Bereichen auch durch Sparzwänge enge Grenzen gesetzt wurde, aber in dem dennoch die Motivation immer am humanistischen Ziel der Verringerung von sozialer Benachteiligung orientiert war.

Um auf das Ausgangsthema der Seelenverwandtschaft von Standesdünkel und Rassismus zurückzukommen – es besteht kein grundsätzlicher Unterschied zwischen Rassismus und Standesdünkel. Beides ist in höchster Weise menschenverachtend und gefährlich und somit mit humanistischen Werten in keiner Weise vereinbar. Im Klartext stellt Standesdünkel genauso wie Rassismus nichts anderes dar als das Einteilen der Menschheit in Unter- und Herrenmenschen. Wo dies hinführt, sollte uns noch gut im Gedächtnis sein. Und deswegen erfordert beides gleichermaßen höchste Achtsamkeit und ein entschiedenes und lautes: Nein!

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Freitag, 11. Oktober 2013, 00:28h

Fragwürdige Wertungen und bröckelnde Fassaden

behrens

Vor kurzem traf ich eine pädagogische Betreuerin wieder, die ich seit längerem nicht mehr gesehen hatte und mit der ich früher sehr gern zusammengearbeitet habe. Besagte Betreuerin war im Rahmen einer Maßnahme der „persönlichen Betreuung von psychisch kranken Menschen“ tätig, in der es um die Hilfe bei der Bewältigung und Gestaltung des Lebensalltags geht.

Ich ließ die Zusammenarbeit ein wenig Revue passieren und ich erinnerte mich daran, dass zwei meiner Betreuten von der pädagogischen Betreuerin betreut wurden. Beide waren von ihr begeistert und empfanden die die von ihr geleistete Unterstützung als eine große Hilfe. Allerdings erinnerte ich mich auch daran, dass eine meiner Kolleginnen sich sehr abfällig über die betreffende Betreuerin geäußert hatte und kommentierte: „Die ist ja selbst fast wie eine Betreute“. Mich hat diese Formulierung sowohl geärgert als auch nachdenklich gemacht.

Was hatte mich an der Betitelung so geärgert? In erster Linie die merkwürdige Ansicht der Kollegin, Menschen in Betreute und Nichtbetreute einzuteilen – nämlich in diejenigen, die ihrer Ansicht nach in irgendeiner Form nicht der Norm entsprechen und diejenigen, bei denen alles vorbildmäßig verläuft und die ihr Leben anscheinend perfekt meistern. Ich kann nur spekulieren, aus welchem Grund besagte Kollegin die pädagogische Betreuerin der ersten Kategorie zuordnete. Vielleicht weil sie oftmals eine sehr direkte und manchmal auch etwas flapsige Art hat. Vielleicht spielt es auch eine Rolle, dass sie äußerlich nicht dem Typ der adretten Bürodame entspricht, sondern eher dem der etwas flippigen Szenefrau. Allerdings sind dies wahrscheinlich genau die Gründe, warum sie von meinen Betreuten so gemocht wurde, denn auch die beiden entsprachen in ihrer Lebensart nicht den gängigen bürgerlichen Normen. Und beide hatten ein sehr empfindliches Gespür dafür, ob sich jemand ihnen gegenüber aufrichtig verhielt und ob das Interesse an ihrer Person auch wirklich echt war.

Die Welt ist bunt, wie es so schön im Volksmund heißt. Und bunt sind auch die Lebensentwürfe. Nicht jeder Mensch will heiraten, Kinder haben, ein Haus bauen, Lebensversicherungen abschließen und um jeden Preis einen perfekten Eindruck machen. Manche Menschen haben einen steinigen Lebensweg und es geht um andere Wertigkeiten, wie zum Beispiel um Authentizität und Aufrichtigkeit. Ich persönlich schätze die Zusammenarbeit mit solchen Menschen sehr, denn in der Arbeit mit Menschen – und dazu zählt rechtliche Betreuung genauso wie pädagogische – kommt es eben gerade nicht darauf an, einen guten Eindruck zu machen, sondern die Beziehung zum Betreuten authentisch und tragfähig zu gestalten.

Die Aussage „Die ist ja selbst fast wie eine Betreute“ steht für mich für ein Weltbild, demzufolge das eigene Leben als perfekt funktionierend eingeschätzt wird, während Probleme und Unzulänglichkeiten ausschließlich bei anderen wahrgenommen werden. Das Fatale an dieser Selbsteinschätzung ist, dass dabei alle eigenen Schwächen und Konflikte konsequent ausgeblendet werden. Tragischerweise hat dies wiederum die Tendenz zur Folge, sich allen konfliktreichen und anstrengenden Beziehungen zu entziehen und sich nur noch den netten und angenehmen zu widmen. Dies kann sowohl auf den familiären Bereich als auch auf den beruflichen Bereich zutreffen.

Auch im Bereich der rechtlichen Betreuung ist es möglich, schwierige und anstrengende Betreuungen abzugeben. Fast jeder Betreuer hat Betreute, mit denen die Zusammenarbeit manchmal an die Grenzen des Erträglichen geht und irgendwann an den Punkt gelangt, an dem es besser ist, einen Betreuerwechsel zu beantragen um die Situation nicht eskalieren zu lassen. Allerdings sollte dies immer nur die letzte Möglichkeit sein und nicht allein aus dem Grund veranlasst werden, weil man sich lieber denjenigen Menschen widmet, zu denen die Beziehung harmonisch verläuft und durch die man sich positiv bestätigt fühlt.

Es ist eine traurige Erkenntnis, dass gerade bei denjenigen, deren Lebensstrategie darin besteht, alle Disharmonien konsequent auszublenden, Schein und Realität weit auseinanderklaffen und die Fassade der heilen Welt irgendwann gefährlich bröckelt. Mich erfüllt dies nicht mit Genugtuung, aber ich fühle mich bestätigt in meiner Ansicht, dass diese Lebensstrategie weder für die Arbeit mit Menschen taugt, noch für den Umgang mit Menschen im Allgemeinen. Weder Betreute noch Angehörige profitieren von einem guten Eindruck. Das, worauf es ankommt, ist Authentizität, Aufrichtigkeit und echtes Interesse für den Anderen. Gerade die Bereitschaft, den anderen auch in schwierigen und anstrengenden Konflikten nicht fallen zu lassen, macht den Wert einer menschlichen Beziehung aus.

Selbst wenn die zweifelhafte Betitelung „Die ist ja selbst fast wie eine Betreute“ tatsächlich auf jemanden zuträfe, so steht dies meiner Meinung nach der Arbeit mit Menschen weniger entgegen als die Haltung eines Menschen, der nur dann Interesse an Beziehungen hat, wenn diese die Fassade der Harmonie und Perfektion nicht gefährden.

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