Montag, 27. April 2015, 01:33h

Szenewechsel – es geht auch anders

behrens

Seit nunmehr über einem Jahr bin ich wieder im Bereich der Sozialen Arbeit tätig und führe keine rechtlichen Betreuungen mehr. Vieles ist anders und manches ist gleich. Was in meiner Arbeit nach wie vor identisch ist, ist das Klientel und damit auch die Grundproblematik: Hartz IV, psychische Erkrankungen und soziale Verelendung. Was meine jetzige Arbeit jedoch von meiner Arbeit als rechtliche Betreuerin unterscheidet, ist die Einstellung der Kollegen zu ihrer Arbeit und damit verbunden auch die Behandlung des Klientels. Wenn optimale Betreuung im Fokus steht und nicht Gewinnmaximierung, bedingt dies zwangsläufig auch erhebliche Unterschiede im Umgang mit dem Klientel.

Was ist somit alles anders? Da wäre zuerst einmal die Tatsache zu nennen, dass Arbeit, die im Angestelltenbereich ausgeführt wird immer einer fachlichen Kontrolle durch Vorgesetzte vor Ort unterliegt. Auch wenn rechtliche Betreuer das Gegenteil behaupten mögen – die Kontrolle durch das Betreuungsgericht konzentriert sich hauptsächlich auf die Vermögensführung und kaum auf die übrigen Teilbereiche. Zwar werden für grundsätzliche Entscheidungen wie z.B. psychiatrische Unterbringung, Wohnungsauflösung, Erweiterung der Aufgabenkreise etc. natürlich immer rechtliche Beschlüsse eingeholt, aber was den konkreten Umgang mit dem Betreuten, wie Miteinbeziehung in Entscheidungen, Umfang und Auswahl der Veranlassung konkreter Hilfeangebote und letztendlich auch der Respekt vor dem Betreuten und dessen Angehörigen betrifft, so hat das Gericht wenig Möglichkeiten und auch kaum die erforderliche Zeit zur Kontrolle.

Im Bereich der Sozialen Arbeit sieht dies völlig anders aus, denn es gibt klare und eindeutige fachliche Weisungen und die Umsetzung der Zielformulierungen unterliegt der ständigen Kontrolle durch Vorgesetzte. Im Gegensatz zu rechtlichen Betreuern müssen Sozialarbeiter in der Regel an Fachgesprächen, Fortbildungen und Supervision teilnehmen. Zwar werden auch rechtliche Betreuer von der Betreuungsstelle dazu aufgefordert, aber es gibt definitiv keine Verpflichtung. Rechtliche Betreuer führen gern an, dass sich Betreute bei Problemen ja bei Gericht beschweren können, dies ist trifft jedoch auf die meisten Betreuten definitiv nicht zu, denn wenn sie in der Lage wären, sich angemessen für ihre Rechte einzusetzen, ständen sie nicht unter Betreuung. Während der Zeit, in der ich als rechtliche Betreuerin tätig war, habe ich in unserem Bezirk erst einmal erlebt, dass einer Kollegin die Betreuungen entzogen wurden und in diesem Fall handelte es sich um eindeutig nachweisbaren Betrug im Bereich der Vermögenssorge.

Ein weiterer entscheidender Unterschied zwischen rechtlicher und sozialer Betreuung liegt in der kollegialen Zusammenarbeit. In meiner jetzigen Arbeitsstelle ist es eine Selbstverständlichkeit, dass für die Arbeit relevante Informationen weitergegeben werden, da das Prinzip der kollegialen Unterstützung und nicht das der Konkurrenz gilt. Ein Prinzip, von dem die Qualität der Arbeit und somit auch das Klientel profitiert.

Wie sieht es eigentlich mit der Zeit aus, die für den einzelnen Klienten zur Verfügung steht? Rechtliche Betreuer führen gern an, dass ihr Zeitbudget ja ungleich geringer ist als das der Sozialarbeiter. Dies trifft sicherlich auch zu, aber dafür entfallen besonders zeitintensive Tätigkeiten wie Begleitung zu Behörden, ausführliche Gespräche, Miteinbeziehung von Angehörigen etc. und die meisten der administrativen Aufgaben werden sofort zeitsparend an die Mitarbeiter delegiert. Der Bereich der Sozialen Arbeit ist definiert durch einvernehmliche Zusammenarbeit mit dem Klienten und die Unterstützung von Entwicklungsprozessen, wodurch sich die Umsetzung von Zielen zwangsläufig sehr viel zeitintensiver gestaltet als im Bereich rechtlicher Betreuung. Bei der Gegenüberstellung der zur Verfügung stehenden Zeit muss man sich vor Augen halten, dass im Bereich der rechtlichen Betreuung einzig und allein der jeweilige Betreuer entscheidet, wieviel Betreuungen er führt und wieviel Zeit er folglich in die einzelne Betreuung investieren kann, wobei die Zahl der geführten Betreuungen dabei von 25 bis weit über hundert (im Extremfall sogar 160!) variieren. Ein in einem Angestelltenverhältnis arbeitender Sozialarbeiter kann nie willkürlich über seine Klientenzahl entscheiden, sondern unterliegt ganz klar den fachlichen Weisungen seines Trägers.

Was ich ehrlicherweise revidieren muss, ist meine zu pauschale Beurteilung der für kaufmännische Aufgaben zuständigen Mitarbeiter, denn auch hier gibt es große Unterschiede in der Arbeitsauffassung. Menschen, die sich bewusst auf eine Stelle bei einem sozialen Träger bewerben, haben in der Regel eine Einstellung, die mit den Zielen des Arbeitgebers übereinstimmt, selbst wenn sie nicht im pädagogischen Bereich tätig sind. Dies äußert sich in eigenverantwortlichen und engagiertem Arbeiten und Interesse für die Situation des Klientels. Eine Mitarbeiterin, wie die Bürohilfe meines früheren Kollegen, die mir völlig aufgebracht die Bitte nach einer Kopie abschlug mit der Begründung, "dies ist nicht mein Arbeitsvertrag", sucht man in sozialen Einrichtungen glücklicherweise vergeblich, denn dort geht es nicht um die Einhaltung kaufmännischer Formalien, sondern um eigenverantwortliches Mitdenken.

Und wie sieht es eigentlich mit dem Typus aus, den ich gern als "Alphamännchen" bezeichne? Es wäre Augenwischerei, soziale Einrichtungen als Arbeitsstätten ohne jegliche Hierarchie anzusehen, denn natürlich unterliegen soziale Träger ähnlich wie Betriebe der freien Wirtschaft einer Struktur, in der Entscheidungen nicht basisdemokratisch sondern in erster Linie auf der Leitungsebene gefällt werden. Was allerdings die Mitarbeiter außerhalb leitender Funktionen anbetrifft und insbesondere deren Umgang mit dem Klientel, so gilt ganz klar, dass jemand vom Typ Alphamännchen mit absoluter Sicherheit schon in der Probezeit seinen Abschied nehmen müsste. Vielleicht ist dies der entscheidendste Unterschied zum Bereich der rechtlichen Betreuung – für Menschen, die Aussagen machen wie "ich bin hier der Chef" oder die auf Kritikäußerungen mit der Androhung von Unterlassungsklagen reagieren, ist in der Sozialen Arbeit kein Platz. Nur im Rahmen einer selbständigen Tätigkeit wie er in der rechtlichen Betreuung gegeben ist, hat autoritäres und dominantes Auftreten keinerlei Konsequenzen.

Was die Frage der Verantwortung angeht, so ist unbestritten, dass diese im Bereich der rechtlichen Betreuung sehr hoch ist. Auch wenn viele der unzähligen zeitaufwendigen administrativen Arbeiten delegiert werden können, so gibt es Maßnahmen, die einzig und allein vom jeweiligen Betreuer veranlasst werden dürfen bzw. müssen, wie zum Beispiel die zwangsweise psychiatrische Unterbringung oder die Auflösung der Wohnung. Viele rechtlich Betreute unterliegen erheblichen psychosozialen oder gesundheitlichen Einschränkungen, die einen großen Aufwand an Betreuung bedingen. Erschwerend ist der Umstand, dass viele Betreuungen oftmals nicht im Einverständnis erfolgen, wodurch sich die Wahrnehmung der Betreuungsaufgaben sehr schwierig gestalten kann. Die Alleinverantwortlichkeit und das zum Teil erhebliche Ausmaß der zu erfüllenden Aufgaben stellen meines Erachtens das Hauptmerkmal und auch die Hauptbelastung der Arbeit rechtlicher Betreuer dar.

Was das Einkommen betrifft, so gilt das Gleiche wie für den Zeitaufwand – alles hängt von der Anzahl der Betreuungen ab. Die meisten rechtlichen Betreuer meines Bezirks führen mindestens 60 Betreuungen und auch wenn rechtliche Betreuer sich weitaus mehr als Sozialarbeiter über ihren geringen Verdienst beklagen, liegt das Einkommen in diesen Fällen ganz eindeutig weit über dem eines angestellten Sozialarbeiters.

Resümee

Stelle man die einzelnen Aspekte der unterschiedlichen Arbeitsfelder gegenüber, wird das eigentliche Problem der Beurteilung rechtlicher Betreuung deutlich. Denn die Einheitlichkeit, die es in den einzelnen Bereichen der Sozialen Arbeit gibt, fehlt im Bereich rechtlicher Betreuung. Wie kann man einen Bereich vergleichen, in dem völlig unterschiedliche Arbeitsauffassungen herrschen? Ein Betreuer, der siebzig Betreuungen führt und nebenbei noch als Immobilienmakler tätig ist, lässt sich schwerlich mit einem Betreuer vergleichen, der maximal 30 Betreuungen führt und keiner weiteren Beschäftigung nachgeht. Ein Betreuer, der eine Suizidproblematik abhandelt mit dem Satz „Wer sterben will, soll doch sterben“ lässt sich nicht vergleichen mit einem Betreuer, für den es selbstverständlich ist, einen suizidalen Betreuten durch Gespräche und Vermittlung geeigneter suizidprophylaktischer Hilfsangebote beizustehen (so wie es im Übrigen selbstverständlich auch jeder bei seinen Angehörigen tun würde…).

Dennoch gibt die Gegenüberstellung der Arbeitsfelder der rechtlichen und der sozialen Betreuung einen entscheidenden Hinweis auf das, was den eigentlichen Unterschied ausmacht – eine Struktur, die es ermöglicht, dass Menschen den Beruf des rechtlichen Betreuers ergreifen, deren vorrangiges Ziel das der Gewinnmaximierung ist. In den verschiedenen Arbeitsfeldern der Sozialen Arbeit gibt es diese Möglichkeit nicht. Wer den Beruf eines Sozialarbeiters oder eines Sozialpädagogen ergreift, ist sich darüber im Klaren, dass er ein den Tarifbedingungen entsprechendes Gehalt beziehen wird, sein Handeln durch Fach- und Dienstaufsicht kontrolliert wird und klar definierten Zielformulierungen unterliegt, die er zwingend akzeptieren muss. Auch wenn sich Sozialarbeiter und Sozialpädagogen erheblich in ihrer Arbeitsauffassung unterscheiden können – das Interesse an diesem Beruf gilt nicht der Gewinnmaximierung, sondern der Aufgabe, gesellschaftlich Benachteiligten die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen.

Es ist längst an der Zeit, darüber nachzudenken, ob die Struktur der Sozialen Arbeit nicht vielleicht geeigneter für die Umsetzung des Reformgedankens des Betreuungsgesetzes ist, als die Struktur der Freiberuflichkeit.

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