Mittwoch, 6. Juni 2012, 11:31h

Eine hochinteressante Dokumentation über die Betreuungspraxis

behrens

Ich habe mir gerade über die ARD-Mediathek die hochinteressante Dokumentation mit dem Titel "Wenn Betreuung zum Albtraum wird" angesehen. Hochinteressant deswegen, weil auf Polemik verzichtet wird und vier völlig unterschiedliche Fälle geschildert werden, die die Bandbreite der Betreuungspraxis deutlich machen. Ich kann nur jedem raten, der sich für das Thema Betreuung interessiert, sich diese Doku anzusehen.

Im ersten Fall ging es um eine 89jährige Frau, die nur deswegen unter rechtliche Betreuung gestellt wurde, weil eine ihrer drei Töchter sich durch die Aufteilung des Erlöses eines Hausverkaufs benachteiligt fühlte und deswegen eine Betreuung beantragt hatte. In den Augen der Tochter war damit anscheinend eine zu früheren Zeiten getroffene Erbvereinbarung zu ihren Ungunsten beeinflusst worden. Durch die Initiative der anderen Töchter fand eine erneute richterliche Prüfung statt, aber obwohl das neue ärztliche Gutachten zu dem eindeutigen Ergebnis kam, dass die Frau durchaus noch geschäftsfähig ist, wurde letztendlich weder die Betreuung aufgehoben, noch der Wunsch der Frau nach einem Betreuerwechsel erfüllt. Selbst der Einwilligungsvorbehalt – gleichbedeutend mit Aberkennung der Geschäftsfähigkeit – wurde beibehalten. Die beiden älteren Schwestern befinden sich jetzt in einem Rechtsstreit, da der auch als Anwalt tätige Betreuer eine Klage auf Rückzahlung von Geldern androht.

Es gilt natürlich auch in diesem Fall, dass man beide Seiten anhören muss, um die Situation beurteilen zu können. Aber wie ich sofort ahnte, als ich die Sendung sah – der Betreuer wollte sich zur angedrohten Klage nicht äußern.

Ein sehr ungewöhnliches Statement gab zu dem Fall ein Jurist ab, der es grundsätzlich für fragwürdig hält, wenn Juristen als Betreuer arbeiten: "Ich meine, ich bin ja selbst in dem Beruf tätig ich mache keine Betreuungen weil ich mich für nicht qualifiziert halte Betreuungen zu machen - und ich es nicht machen will. Gerade im Bereich der medizinischen Versorgung habe ich erhebliche Bedenken, dass Anwälte das machen. Ich bin der Ansicht, dass hier eben Spezialberufe geschaffen werden müssen. Aber für die Anwälte ist das natürlich ein gutes Geschäft wenn einer 30 – 40 Betreuungen hat , dann hat er auch ein gewisses Auskommen. Es gibt auch Gerichte von denen wir hören, dass wenn junge Anwälte anfangen, dann bekommen sie Betreuungsfälle, damit sie überleben können. Also auch das ist die Frage, wer wird als Anwalt Betreuer, das möchte ich jetzt hier nicht vertiefen. "

Beim zweiten Fall ist die Problematik genau entgegengesetzt, ein Gericht sah keine Veranlassung, eine Betreuung einzurichten, obwohl die Erkrankung des Betreffenden fast die Familie ruiniert hätte. Ein an einem Hirntumor erkrankter Mann, der gemeinsam mit seiner Ehefrau im betreuten Wohnen lebte, verschenkte 65.000,00 € an die Putzfrau. Als es dann dazu kam, dass er die für die Tochter erteilte Vollmacht zurückzog und die Putzfrau bevollmächtigen wollte, regte die Tochter die Einrichtung einer gesetzlichen Betreuung an. Der Gutachter kam erstaunlicherweise zu dem Entschluss, dass hierzu kein Grund vorläge. Das lapidare Statement des Richters: „Ein schwäbischer Geschäftsmann wird wahrscheinlich normalerweise seiner Putzfrau kein Geld geben. Das ist schon ein ungewöhnliches Verhalten, aber es muss nicht auf einem krankhaften Verkennen von irgendwas beruhen. Und das muss man selbstverständlich prüfen, ob ein Mensch dafür gute Gründe hat oder auch gar keine besonderen Gründe hat. Jedenfalls darf grundsätzlich jeder mit seinem Geld machen, was er will".

Anscheinend sind Richter und Gutachter der Meinung, die Situation des schwerkranken (kurz danach verstorbenen Mannes), „gründlich“ geprüft zu haben. Die gefällte Entscheidung ist gleichbedeutend mit einem Freibrief für Betrüger, die sich auf alte Menschen spezialisiert haben. Ich glaube, dass es wohl niemanden gibt, der im Zustand der geistigen Klarheit damit einverstanden wäre, wenn irgendwann bei Nachlassen der geistigen Kräfte niemand eingreifen würde und dadurch das – oftmals sehr hart erarbeitete – Ersparte an Fremde verschenkt wird, wodurch die Ehefrau irgendwann zur Sozialhilfeempfängerin wird. Die Herren Richter und Gutachter haben sich das Ganze wirklich erschreckend einfach gemacht und halten ihre Gleichgültigkeit wahrscheinlich auch noch für Toleranz.

Beim dritten Fall geht es um einen Mann, der nach einem Schlaganfall von seiner Frau und seiner jüngeren Tochter zuhause gepflegt wurde. Dann wollte die ältere Tochter die Betreuung übernehmen und es kam zum Konflikt, so dass es letztendlich zur Einrichtung einer rechtlichen Betreuung kam, die einer Betreuerin erteilt wurde, deren Ausbildung ein Wirtschaftstudium war. Obwohl der Mann gut gepflegt wurde, veranlasste die Betreuerin eine Heimeinweisung. Dem Mann ging es daraufhin sehr viel schlechter und er verlor gravierend an Gewicht. Die Ehefrau unternahm alles, um ihren Mann wieder nach Hause zurückkehren zu lassen – alles ohne Erfolg. Erst als der zuständige Richter berentet wurde, wurde dem Wunsch nach einem anderen Betreuer stattgegeben. Allerdings sitzt die ganze Familie jetzt auf 14.000,00 € nicht bezahlter Heimosten und kämpft darum, dass die Betreuerin, die ja für diese Kosten verantwortlich ist, für diesen Schaden aufkommen muss. Übrigens läuft seit Bestellung des neuen Betreuers - einem ehrenamtlich tätigen Pastor - sehr gut.

Auch zu diesem Fall gibt es ein Statement des schon vorab zitierten Juristen: „Mir ist nicht bekannt, dass es in irgendeinem anderen Rechtsystem oder einer Gesetzeslage in Deutschland für irgendeine Installation soviel Rechte gibt alles wegzunehmen. Gut man kann natürlich sagen, bei Straftätern, wenn sie entsprechende bestimmte Straftaten gemacht haben, dann verlieren sie die Freiheitsrechte und eventuell kann ein Teil des Vermögens eingezogen werden. Aber hier, die Freiheitsrechte ganz und auf Dauer einzuziehen, das Vermögen auf Dauer einzuziehen, und die Entscheidung über die ärztliche Versorgung, über den Postempfang und über Telefon, das alles wegzunehmen, da bin ich der Meinung, da sollte man nachdenken, ob man dann noch im richtigen Gesetz ist“.

Beim vierten Fall handelt es sich um jemanden, der aus eigenem Antrieb eine rechtliche Betreuung beantragt hat. Durch Vermüllung ist es zu einer Räumungsklage des Vermieters gekommen. Gemeinsam mit dem Betreuer – ein Vereinsbetreuer der Caritas – sieht er sich nach einem geeigneten Heim um. Letztendlich will er dann aber auch in seiner Wohnung bleiben, was der Betreuer, der sich auch die Zeit nimmt, das Heim gemeinsam anzusehen, auch akzeptiert. Der Betreute macht deutlich, dass die Betreuung für ihn eine große Hilfe ist.

Wie man sieht, ist das Thema Betreuung ein weites Feld, in dem Betreuung sowohl als existentielle Bedrohung als auch als große Hilfe empfunden wird. Und ebenfalls ist es ersichtlich, welch gravierende Unterschiede es sowohl unter den Betreuern als auch unter den Betreuungsrichtern gibt. Auch die völlig unterschiedliche Ausbildung der Betreuer ist interessant: im ersten Fall ist der Betreuer Anwalt, im zweiten Fall ist die erste Beteuerin Wirtschafswissenschafterin und der zweite Betreuer Pastor und im vierten Fall ist der Betreuer Sozialarbeiter/Sozialpädagoge. Bei den richterlichen Urteilssprechungen reichen die Extreme einerseits von selbstgerechter Ignoranz der fachärztlichen Gutachten, verbunden mit dem totalen Ignorieren des Willens des Betreuten bis hin zur als Toleranz getarnten Hilfeverweigerung. Ich muss in diesem Zusammenhang allerdings ausdrücklich betonen, dass ich persönlich glücklicherweise weder das eine noch das andere Extrem bei den Richtern erlebt habe und in fast allen Fällen versucht wird, dem Einzelfall gerecht zu werden. Und wie gesagt – für eine gerechte Beurteilung sollte man beide Seiten gehört haben. Es spricht aber für sich, dass weder die betreffenden Betreuer noch die Familienmitglieder, die auf eine rechtliche Betreuung drängen, zu einem Statement bereit waren.



http://www.ardmediathek.de/das-erste/reportage-dokumentation/entmuendigt-wenn-betreuung-zum-albtraum-wird?documentId=10748694

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