Sonntag, 29. August 2010, 15:52h
Sherwin B.Nuland – Wie wir sterben
Der amerikanische Arzt Sherwin B.Nuland (Jahrgang 1930) hat dem Thema Sterben ein Buch gewidmet. Aufbauend auf seine langjährigen Erfahrungen als Arzt in einem Krankenhaus hat Nuland den Versuch gemacht, eine Einführung in den genauen Ablauf des Sterbeprozesses zu geben. Dabei geht er detailliert auf die verschiedenen Erkrankungen ein – Krebs, Herzinfarkt, Demenz und gewaltsame Todesarten.
Das Buch ist alles andere als eine leichte Lektüre. Um es als medizinischer Laie zu verstehen, muss man es wahrscheinlich mehrmals lesen. Was Nuland mit dem Buch erreichen will, ist eine „Entmythologisierung“ des Sterbens. Nach eigenen Aussagen hat Nuland nur selten Würde beim Sterben erlebt. Denn das Bemühen scheitert, wenn der Körper uns im Stich lässt.. Und eben dieses Scheitern des Körpers beschreibt Nuland eindringlich und ohne jede Beschönigung.
Zum Thema Sterbehilfe nimmt Nuland einen sehr differenzierten Standpunkt ein. Er zitiert einen unheilbar Kranken, der in seinem Abschiedsbrief schrieb: „Wenn das Leben unausweichlich seinem Ende zustrebt…hat der Einzelne das Recht, seinen Arzt darum zu bitten, es für ihn zu beenden“. Gleichzeitig weist er aber darauf hin, dass sehr viele alte Menschen, die sich selbst töten, so handeln, weil sie an einer durchaus heilbaren Depression leiden. Und Nuland ist äußerst skeptisch, was die Ärzte betrifft, die sich auf die sogenannte Sterbehilfe spezialisiert haben, die von ihm als „Publicitysüchtige Hausierer des Todes“ und „selbsternannte Erlöser“ bezeichnet werden.
Gleichzeitig wendet sich Nuland aber auch entschieden gegen die Apparatemedizin, die den Eifer der Ärzte, das Leben auf jeden Fall verlängern zu wollen, mehr in den Mittelpunkt stellt, als die Lebensqualität des Schwerkranken. Für Nuland ist es jedes Mal wieder eine Ermessensfrage in der konkreten Situation, ob die Heilungschancen eine Behandlung noch rechtfertigen oder nicht. Nuland schildert sehr plastisch den Tod zweier Patienten, die sehr qualvoll starben, weil der natürliche Sterbeprozess immer wieder mit allen Mitteln hinausgezögert wurde. Nur allzu oft verleiten Erfolge den Mediziner, seine Möglichkeiten zu überschätzen. Und nur zu oft versucht er, Patienten zu retten, die seine Rettungsversuche bei unvoreingenommener Einschätzung ihrer Lage nicht über sich ergehen lassen würden.
Interessant ist aber auch der Hinweis Nulands, dass auch die zu gesunden Zeiten verfassten Patientenverfügungen im Angesicht des Todes manchmal von den Patienten selbst wieder zurückgezogen werden. Wenn der Tod tatsächlich nahe ist, wollen manche Menschen nicht mehr sterben. Genau in dieser Situation sind Ärzte, Angehörige und eben auch wir Betreuer gefordert, denn wir sind aus gutem Grund dazu angehalten, Patientenverfügungen auf ihre Aktualität zu überprüfen. Stereotypes, zeitsparendes Einheitsschema ist hier also alles andere als sinnvoll.
Für Nuland gehört die Sterbehilfe in die Hand derjenigen Ärzte, denen der Patient langjährig vertraut ist. Für Nuland ist unsere Art zu sterben so charakteristisch für uns, wie die unverwechselbaren Gesichtszüge, die wir der Welt ein Leben lang gezeigt haben und jeder stirbt auf seine, ihm unverwechselbare Weise. Und Shervin B. Nuland zitiert hierzu treffend und einfühlsam die Worte Rainer Maria Rilkes: „O Herr, gib jedem seinen eigenen Tod“.
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