Sonntag, 27. Juni 2010, 11:39h
Das Urteil zur Sterbehilfe – Ein Schritt nach vorn mit Wermutstropfen
Jetzt hat Karlsruhe endlich eine Grundsatzentscheidung zur Sterbehilfe gefällt. Es ist demnach nicht strafbar, wenn medizinische Behandlungen, die den natürlichen Sterbeprozess hinauszögern, aktiv beendet werden, wenn dies in einer Patientenverfügung so bestimmt wurde. Der schwammige Begriff der „passiven Sterbehilfe“ wird jetzt durch den konkreteren Begriff des gewollten „Behandlungsabbruch“ ersetzt.
Für die Fälle, in denen es keine Patientenverfügung gibt, muss der mutmaßliche Wille ergründet werden – was sich in der Praxis nicht immer als einfach erweisen wird. Daher kann in diesen Fallen zur Findung der Entscheidung ein Betreuer bestellt werden, bzw. ein schon vorher bestellter Betreuer kann diese Entscheidung fällen.
Ich persönlich habe schon vor langer Zeit gemeinsam mit meinem Freund eine Patientenverfügung aufgesetzt, da wir aufgrund der Tatsache, dass wir nicht verheiratet sind, noch nicht einmal ein Anrecht auf ärztliche Auskunft hätten. Unsere Verfügungen müssen aber jetzt auf jeden Fall überarbeitet werden, weil das Gesetz inzwischen möglichst konkrete Formulierungen verlangt. Und wir haben auch über den Fall der Fälle gesprochen, bei dem ein medizinischer Zustand eintritt, der völlige Abhängigkeit bedeutet, wie z.B. bei einer vollständigen Lähmung oder einem Wachkoma. Und auch ohne das jetzt gefällte Urteil hätte jeder von uns beiden dem anderen den Wunsch nach Beendigung des Leidens erfüllt. Ich erwähne dies hier so ausdrücklich, um deutlich zu machen, dass ich kein prinzipieller Gegner der Sterbehilfe bin.
Allerdings bin ich nach wie vor ein prinzipieller Gegner der Auffassung, dass man jeden mit so einer verantwortungsvollen und schwerwiegenden Entscheidung betrauen kann. Mir wird unbehaglich zumute, wenn ich mir vorstellte, dass ein Betreuer, der an die 60, 70 oder noch mehr Betreute hat und seine Betreuten kaum besucht und nie persönlich mit dem Arzt oder den Angehörigen spricht, so eine existentielle Entscheidung fällen darf. Wenn ich mir dann noch die gängige Praxis vorstelle, in der pedantisch nachgerechnet wird, ob man denn um Himmelswillen nicht über die monatliche Stundenpauschale kommt, dann tritt mir im wahrsten Sinne des Wortes der Angstschweiß auf die Stirn.
Für mich ist es ein Albtraum, mir vorzustellen, dass über das Leben von Menschen, die mir nahestehen, nach kaufmännischen Gesichtspunkten entschieden wird. Von Menschen, die erschreckend oft nicht in der Lage sind, sich auch nur ansatzweise vorzustellen, dass jemand andere Normen als die eigenen haben könnte und die folglich grundsätzlich bei jedem die eigenen Maßstäbe anlegen. Menschen, für die auf jeden Fall immer die zeitsparendste Maßnahme die beste ist.
Und noch andere Aspekte machen mir große Angst. Erfahrungsgemäß kann es bei schwerwiegenden Entscheidungen - zu denen zweifellos auch die Sterbehilfe zählt - zu erheblichen Differenzen mit Ärzten oder Angehörigen kommen. Und hier braucht man ein enormes Rückgrat, um die Entscheidung, die dem Willen des Schwerkranken entspricht, auch durchzusetzen. Und mit dem Rückgrat ist es leider bei manchen Betreuern nicht gerade gut bestellt. Außerdem muss man in einem Entscheidungsprozeß, in dem es letztendlich um Leben und Tod geht, eigene Positionen immer wieder kritisch hinterfragen – und leider ist auch Selbstkritik keine Eigenschaft, die man oft bei Betreuern findet.
Obwohl es sich um ein existentielles Thema handelt – was ist schließlich existentieller als das Sterben? – gibt es noch nicht einmal ansatzweise Diskussionen unter Betreuern. In einem Gespräch mit einem Kollegen wurde mir – wie fast immer - Arroganz und Selbstgefälligkeit vorgeworfen, da ich nun mal nicht jeden Kollegen für fähig halte, der schwierigen Aufgabe der Entscheidungsfindung über Sterbehilfe gerecht zu werden. Was mich daran sprachlos macht, ist die Gleichsetzung von Besorgnis mit Arroganz und von Kritik mit Selbstgefälligkeit.
Ist es wirklich so arrogant, wenn man nicht jeden für fähig hält, alles zu machen? Ist es wirklich selbstgefällig, wenn man Angst davor hat, irgendjemandem in die Hände zu fallen? Niemand käme auf die Idee, eine Zahnbehandlung von einem Klempner durchführen zu lassen, niemand würde sein Auto zur Inspektion zum Friseur bringen und niemand würde für eine Rechtsberatung eine Bäckerei aufsuchen. Und genauso fehl am Platz ist kaufmännisches Denken im Bereich der Sterbehilfe.
Ob ich selbst der schwierigen und belastenden Aufgabe der Entscheidungsfindung bei dem Thema Sterbehilfe gerecht werden würde – ich weiß es nicht. Aber ich würde zumindest nicht das entsetzliche Zeitsparprinzip dabei anwenden, sondern ich würde versuchen, von Familie, Freunden und Verwandten Information über den Sterbenden zu erlagen. Und ich würde mir immer vergegenwärtigen, dass das, was für mich das Richtige ist, für jemand anderen genau das Falsche sein kann. Und es wäre mir in jedem Moment bewusst, dass ich mich bei der Entscheidung irren könnte.
Sterben ist qualvoll, Sterben macht Angst und ein Sterbender sollte daher die größtmögliche Hilfe erhalten. Und kaufmännisches Denken ist dabei ganz sicher fehlt am Platz.
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