Samstag, 19. Dezember 2009, 01:07h
Rundum betreut
Neben der rechtlichen Betreuung gibt es auch noch andere Formen der Betreuung. Beispielsweise die der „PPM“ – personenbezogene Betreuung für psychisch kranke Menschen oder die der „PBW“ - pädagogische Betreuung im eigenen Wohnraum. Beides sind Maßnahen der Eingliederungshilfe nach § 53/54 SGB XII. Die Betreuung im Rahmen einer PPM wird psychisch kranken Menschen gewährt und die Betreuung einer PBW sind bestimmt für Menschen mit geistiger Behinderung. Im Rahmen des § 54 SGB XII gibt es für Menschen mit geistiger Behinderung auch noch die Maßnahme der Wohnassistenz.
Keine Betreuung im eigentlichen Sinn ist die Maßnahme HWW § nach 70 SGB – die Hilfe zur Weiterführung des Haushalts. Eine ähnliche Hilfe, allerdings weniger umfassend, ist die hauswirtschaftliche Unterstützung, die nach § 11 SGB gewährt wird. Für Menschen mit Kindern gibt es dann schließlich noch die durch das Jugendamt gewährte Familienhilfe.
Für viele meiner Betreuten lasse ich diese verschiedenen Hilfeformen durchführen. Manche hatten diese Form der Betreuung schon bevor sie von mir gesetzlich betreut wurden, andere Betreute erhalten diese Hilfe erst durch meine Beantragung. Mit den meisten Trägern, die diese Hilfen der Betreuung anbieten, arbeite ich sehr gut zusammen.
Und dennoch – betrachtet man diese aus rechtlicher, pädagogischer und assistierender Hilfeleistung bestehende Betreuungslandschaft, macht es nachdenklich. Als ich beispielsweise vor rund 13 Jahren meine Arbeit als Betreuerin begann, waren mir gerade einmal zwei Anbieter dieser Hilfe bekannt. Inzwischen sprießen die Anbieter von PPM und PBW wie Pilze aus dem Boden.
Ein Grund für die enorme Zunahme der verschiedenen Betreuungsformen ist der Wandel der Institution Familie. Diese hat anscheinend ausgedient in Bezug auf die umfassende und verantwortungsbewußte Sorge für ihre einzelnen Mitglieder. Die Familie wurde als solche schon immer idealisiert im Hinblick auf das, was sie leistet und leisten kann. Familien waren nie so heil, wie sie gern dargestellt wurden und immer schon gab es auch vernachlässigte Kinder, Gewalt und Mißhandlung, Alkoholismus, Überlastung und Familien, in denen sich ein Elternteil – meist der Vater – einfach aus dem Staub gemacht hat.
Man mag darüber sinnieren, ob diese Probleme früher genauso oft vorkamen wie die sogenannte funktionierende Familie oder ob es sich um Ausnahmen handelte. Auf jeden Fall ist jetzt eindeutig eine Zunahme dieser gesellschaftlichen Probleme zu beobachten. Und unsere Gesellschaft antwortet auf diese Probleme mit dem Angebot und der Schaffung von vielfältigen Hilfsangeboten – was zweifellos richtig und angemessen ist.
Aber wie bereits gesagt – es macht nachdenklich, daß unsere Gesellschaft sich auf dem Weg in eine Betreuungsgesellschaft begibt und anscheinend immer weniger Menschen außerstande sind, ihr Leben eigenständig ohne Hilfestellung zu bewältigen.
Medizinische Probleme behandelt man immer auf zwei Arten: man sucht nach Medikamenten und nach Ursachen. Letzteres sollte man auch im Bereich der gesellschaftlichen Probleme tun. Es reicht nicht aus, immer neue Hilfsangebote zu konstruieren. Man sollte sich endlich einmal der Frage widmen, warum so viele Menschen ihre soziale Kompetenz eingebüßt haben. Warum es immer weniger Familien gibt, die den Ansprüchen der Erziehung ihrer Kinder gewachsen sind. Warum es immer mehr psychische kranke Menschen gibt und immer mehr Suchtkranke und eine stetig steigende Kriminalität.
Wenn man sich dieser Frage verschließt, dann wird die Gesellschaft irgendwann nur noch aus zwei Gruppen bestehen: aus Betreuten und Betreuern!
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