Mittwoch, 5. Januar 2022, 16:38h

Was ist eigentlich einfühlsam? Selbstwahrnehmung von Betreuern

behrens

Vor einiger Zeit kam in einem Gespräch mit einer Klientin das Thema auf deren frühere rechtliche Betreuerin. Bei der Klientin handelt es sich um eine Frau, die seit dem Tod ihres Sohnes unter starken Depressionen leidet, die zeitweilig auch mit Suizidgedanken verbunden sind.

Die Klientin beschrieb, dass besagte Betreuerin sich kaum um ihre Probleme kümmerte. Zugegeben - dies wird oft von Betreuten behauptet und nicht immer entspricht es der Realität, auch mir sind unbegründete Beschwerden aus meiner früheren Betreuertätigkeit nicht unbekannt. In diesem Fall wurde die Aussage allerdings von der jetzigen Betreuerin bestätigt. Man wird kaum behaupten können, dass eine Betreuerin ihre Tätigkeit verantwortungsbewusst ausführt, wenn die Heizung einer Betreuten jahrelang abgeschaltet ist und keinerlei Anstalten unternommen wurden, dies zu ändern.

Was mich jedoch noch mehr schockierte, war der Umstand, dass die frühere Betreuerin der Klientin im Erstgespräch ins Gesicht sagte, sie würde stinken. Zum einen macht die Klientin auf mich nicht den Eindruck von Ungepflegtheit, zum anderen ist es selbst dann, wenn dies der Fall wäre, anmaßend und beleidigend, es in so einer Form zur Sprache zu bringen. Es gibt durchaus Betreute, deren Körpergeruch so stark ist, dass nach einem Besuch das Büro lange durchgelüftet werden muss. Und natürlich kommt man nicht umhin, dies anzusprechen. Aber selbstverständlich muss dies mit dem nötigen zwischenmenschlichen Respekt geschehen und das Erstgespräch ist nicht der geeignete Zeitpunkt dafür.

Die betreffende Betreuerin ist mir nicht unbekannt und die meisten Rückmeldungen zu Begegnungen mit ihr sind ebenfalls nicht gerade positiv. Wobei sich dies durchaus nicht nur auf die Erfahrung von Betreuten beschränkt, sondern auch auf die anderer Betreuer bzw. Mitarbeiter von Einrichtungen und Behörden. Ich erinnere mich an ein Gespräch mit einer früheren Kollegin, die sich dazu äußerte, dass auch die Geschwister besagter Betreuerin einflussreiche Positionen besitzen. Insbesondere folgender Satz hat sich mir dabei ins Gedächtnis gebrannt: "Wir haben alle Angst vor dieser Familie, die reißt alles an sich". Ein Mitarbeiter der Betreuungsbehörde schilderte, wie eine Betreute ihm gegenüber berechtigte Kritik äußerte, aber darauf bestand, dass dies nicht weitergegeben werden dürfe, da sie große Angst vor der Reaktion der Betreuerin hatte. Als ein anderer Mitarbeiter der Betreuungsstelle Kritik äußerte, drohte die Betreuerin mit rechtlichen Schritten, was leider auch entsprechende Wirkung zeigte.

Das Selbstbild besagter Betreuerin weicht allerdings grundlegend von der Einschätzung anderer ab und sie selbst sieht sich keineswegs als furchteinflößend. In ihrer Website charakterisiert sich neben anderen ausgesprochen positiven Eigenschaften ausdrücklich als "einfühlsam"!.

Ich bin froh, dass die Betreute, die so negative und entwürdigende Erfahrungen gemacht hat, inzwischen eine Betreuerin hat, die ihre Tätigkeit verantwortungsvoller und mit dem erforderlichen zwischenmenschlichen Respekte ausübt. Allerdings bereitet es mir Unbehagen, dass es mit Sicherheit andere Betreute gibt, die die gleichen bitteren Erfahrungen machen. Und gerade psychisch kranken Menschen fehlt sehr oft die Fähigkeit sich adäquat gegen respektloses und anmaßendes Verhalten zu wehren, was bei manchen Krankheitsbildern kann zu einer verheerenden Verschlimmerung führen kann.

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