Samstag, 23. August 2014, 14:45h

Spring doch!

behrens

In diesem Blog habe ich mich schon einige Male mit der Einstellung einiger Betreuer auseinandergesetzt, die in Bezug auf das Thema Suizidalität die Ansicht vertreten: ”Wer sterben will, soll doch sterben!” Eine Einstellung, deren Glaubwürdigkeit sofort heftig ins Wanken kommt, wenn es um Suizidalität innerhalb der eigenen Angehörigen geht, denn dann wird dieser Grundsatz selbstverständlich sofort verworfen und stattdessen wird laut nach Hilfe all jener gerufen, die ansonsten als unprofessionell und die Selbstbestimmung missachtend abqualifiziert werden.

Ich greife dieses Thema jetzt anlässlich des Todes von Robin Williams nochmals auf, denn während der überwiegende Teil der Öffentlichkeit mit Betroffenheit auf den Selbstmord reagierte, gibt es durchaus auch andere Reaktionen. Zum Beispiel die des Kiss-Bassisten Gene Simmons: „Ich würde rufen: „Spring!“, wenn jemand auf dem Dach eines Wolkenkratzers steht und ihn fragen, warum er ankündigt zu springen.“ „Halt die Fucking Klappe und mach es schon. Die Menschheit wartet.

Simmons Eltern haben den Holocaust überlebt und trotz der Tatsache, dass die gesamte übrige Familie im Konzentrationslager umkam, würde seine Mutter – so Simmons – „jeden Tag auf Erden lieben.“

Es verwundert mich immer wieder, wie einfach das Weltbild mancher Menschen strukturiert ist. Ein Weltbild, demzufolge klar und ausnahmslos definiert ist, wer einen Grund zur Klage hat und wer eben nicht. Wer keinen Krieg, keine Bombenattentate, keine Umweltkatastrophen und keine Folter am eigenen Leib erlebt hat, hat gefälligst gut drauf zu sein. Und sollte dies nicht zutreffen – dann soll derjenige sich gefälligst die Kugel geben oder vom Hochhaus springen. Aber bitte schön leise und ohne Gejammer – denn dadurch fühlen sich Menschen wie Simmons offensichtlich in ihrem Wohlbefinden beeinträchtigt.

Schwer zu sagen, wodurch jemand zu so einer menschenverachtenden Einstellung gekommen ist. Vielleicht kann man sich es als Heavy Metall Bassist einfach nicht leisten, differenzierte und mitfühlende Ansichten zu vertreten, zumal das Männlichkeitsideal in dieser Szene ja ein anachronistisches ist, das jeder gesellschaftlichen Veränderung zum Trotz im Mittelalter stecken geblieben ist und sich hartnäckig jeder Weiterentwicklung verweigert.

Aber ehe man jetzt in eine Diskussion um das Für und Wider der Einstellung des „Spring-doch!“ eintritt, sollte man sich einfach die Gretchenfrage stellen, ob Gene Simmons wohl auch mit der gleichen Vehemenz sein „Spring doch!“ brüllen würde, wenn Töchterchen Sophie oder Sohnemann Nicholas auf dem Fenstersims eines Hochhauses herum balancieren würden. Nein – mit hundertprozentiger Sicherheit würde dann selbst ein richtiger Kerl wie Gene Simmons Rotz und Wasser heulen und dankbar für jeden Psychologen oder Polizisten sein, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, dies zu verhindern.

Simmons Familie fiel im Dritten Reich der grausamen Einteilung in Menschen und Untermenschen zum Opfer. Eine Selektion, derzufolge nur das Leben derjenigen als lebenswert angesehen wurde, die man als zur eigenen Volksgruppe gehörig erklärte. Es ist traurig, dass gerade der Nachkomme einer Hinterbliebenen des Holocaust genau diese Einstellung weiterleben lässt. Man mag jetzt als mildernden Umstand anführen, dass Menschen wie Simmons oder wie manche Betreuer sich höchstwahrscheinlich noch keine Gedanken darüber gemacht haben, wie es wäre, wenn jemand aus dem Kreise der eigenen Angehörigen sich das Leben nehmen würde. Aber genau das ist es, was die Ignoranz jener Menschen ausmacht – sich grundsätzlich erst dann für ein Problem zu interessieren, wenn man selbst davon betroffen ist. Bei dem Bassisten einer Heavy Metall Band mag diese Ignoranz noch hinnehmbar sein – bei einem Betreuer ist sie äußert bedenklich.

Warum ich hier schon wiederholt zu dem gleichen Thema geschrieben habe? Weil es um Menschenleben geht. Und die sollten es wert sein, sich zu wiederholen! Und weil meiner Meinung nach Angehörige ein Anrecht darauf haben sollten, dass ihre betreuten Familienmitglieder mit der gleichen Wertschätzung behandelt werden, mit der ein Betreuer auch seine eigenen Angehörigen behandelt.

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